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11. Schuld / Sünde / Vergebung

Für den Stand und die Entwicklung der gesellschaftlichen Schuldkultur ist das Verständnis der Begriffe Schuld, Sünde und Vergebung grundlegend. Sowohl eine Definition wie auch das Verhältnis der Begriffe zueinander ist schwierig. Es stellen sich u.a. folgende Fragen:

  • Wie gehen wir verantwortungsvoll mit unserem täglichen Schuldigwerden um?
  • Was bringt die Ausweitung des Schuldbegriffs auf das religiöse Sündenverständnis?
  • Welchen Wert hat und was bewirkt Vergebung?
  • Wie bringen wir die Bereitschaft auf, Schuld anderer zu verzeihen?
  • Kann der persönliche Glaube dabei helfen?
  • Welche Bedeutung hat Jesus für Christen bei dieser Frage ?

Eine Vertiefung beim Verständnis von Schuld und Sünde kann zu mehr Gerechtigkeit führen und neue Chancen auch bei schwerer Schuld eröffnen.

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Einzelthemen auf dieser Seite

Schuld zugeben? Um Gottes willen!
Brauchen wir eine neue Schuldkultur?

Alle Menschen wurden, sind oder werden in ihrem Leben schuldig.
(Dagegen wird oft gesagt: „Ich bin mir keiner Schuld bewusst.“)

Größe und Art von Schuld sind oft schwer zu bestimmen.
Sie wird meist nicht, nur teilweise und ungern zugegeben, weil das Nachteile und Strafe bringt.

Von Christen wird Schuld auch als Sünde gegen Gottes Liebe und Gebote verstanden.
Schuld und Sünde kann vergeben werden.

Schuld – was ist das?

Subjektiv ist Schuld das Gefühl und die Einsicht, etwas Falsches, Unerlaubtes, Schädliches (Schändliches) getan oder Pflichten versäumt zu haben.

Objektiv ist Schuld die feststellbare Vorwerfbarkeit von und die Verantwortung für moralisch oder gesetzlich Verbotenes. In Politik und Wirtschaft werden oft Fehler den Verursachern als Schuld zugerechnet.

Das Wort wird auch für finanzielle und juristische Leistungsver­pflichtungen verschiedener Art gebraucht („Anderen etwas schuldig bleiben“).

Für menschliche Gemeinschaft ist es lebensnotwendig, Schuld möglichst zu vermeiden und zu regulieren, wenn sie eingetreten ist oder besteht.

Gründe für die Feststellung oder das Empfinden von Schuld ergeben sich aus der Vernunft (z.B. im Blick auf die Folgen eines Verhaltens), aus den in einer Gesellschaft geltenden Regeln und aus dem Glauben an Gott. Die Bewertung von Schuld und der Umgang damit ist weitgehend klar geregelt, aber doch im einzelnen oft sehr schwierig. Es ist häufig strittig, was als Schuld angesehen wird und wie schwer sie wiegt („Ich bin mir keiner Schuld bewusst.“).

So problematisch die Feststellung und damit Abgrenzung von Schuld auch ist, so hat sie doch den Vorteil, dass zwischen dem Menschen und seiner Schuld unterschieden werden kann. Kein Mensch ist ganz schlecht.

Schuldgefühle können Menschen erheblich belasten und werden deshalb oft in das Unbewusste verdrängt. Schuldzuweisung soll die Verantwortlichkeit für verbotenes oder auch nur unerwünschtes Verhalten feststellen, um durch entsprechende Strafen eine Wiederholung zu verhindern oder, wenn möglich, eine Wiedergutmachung herbei zu führen.

Schuldfeststellung wird aber nicht nur rückwärts wirksam, sondern sie zeigt eine Richtung für die beabsichtigte oder geforderte weitere Entwicklung auf („Bewährung“). Als schuldhaft bewertetes Handeln soll in Zukunft vermieden werden. Diesen Sinn hat auch die oft gebrauchte Formel “Entschuldigung” .

Sünde ist Schuld aus der Sicht des Glaubens

Das Wort Sünde stammt aus religiösem Sprachgebrauch und wird heute neben dem Bezug auf Gott auch benutzt, um einen Frevel gegenüber der Natur oder der Menschlichkeit zu benennen Es bezeichnet einen Verstoß gegen Gebote bzw. Verbote Gottes, die über menschliches Recht und Gesetz hinausgehen. Das Verständnis einer Handlung oder eines Unterlassens als Sünde macht eine größere Dimension bewusst als durch Moral oder Rechtsprechung erfasst wird. Darüber hinaus sehen und fühlen sich viele Christen (wie vor fast 500 Jahren Martin Luther) in einem dauernden und totalen Zustand des Sündig- oder Sünder-Seins gegenüber Gott.

Umgangssprachlich wird oft als „Sünde“ bezeichnet, was zwar verboten, aber doch verlockend ist.

Sünde ist im religiösen Sinn aber ein ziemlich umfassendes Wort. Es bezeichnet in der christlichen Religion nicht nur die einzelne Übertretung eines (göttlichen) Gebotes, sondern die Aufhebung der Gemeinschaft mit Gott. Der Mensch will sein Leben ganz allein in seine Hand nehmen. Der Mensch wird schuldig, weil er selbst „sein will wie Gott“, er weist Gottes Liebe zurück und missachtet seine Gebote. Diese können religiös-ethischer oder kultisch-ritueller Art sein. In anderen Religionen (ohne Glauben an einen persönlichen Gott) entsteht religiöse Schuld auch durch Verletzung von Tabu-Gesetzen oder durch die Störung einer Ordnung. Sünde bedeutet, dass Menschen ohne Verbindung und Übereinstimmung mit der größeren Wirklichkeit sind, der sie ihr Leben verdanken: ohne ihren Schöpfer, entfremdet der Natur und im Kampf aller gegen alle.

In der Bibel und in der Theologie wird unter Sünde im umfassenden Sinn die Trennung von Gott verstanden, die Abwendung des Geschöpfes von seinem Schöpfer und die Absage des Menschen an den ihn liebenden Gott.

Das Verständnis von Sünde und Schuld als Tat und Übertretung bzw. Unterlassung findet meist in der personalen Form und Dimension der Beziehung zu Gott seinen Ausdruck. Das grund­legende menschliche Verhältnis oder Nicht-Verhältnis zu Gott als dem Leben und der Liebe, der Wahrheit und Gerechtigkeit lässt sich aber auch mit nicht-personalen Begriffen ansprechen, obwohl das noch sehr ungewohnt ist (s. unten und Kommunikation mit Gott).

Auch wenn heute bei Fehlverhalten nicht mehr oder nicht hauptsächlich an Sünde gegenüber Gott gedacht wird, haben die meisten heutigen Gesellschaften doch eine hochentwickelte Schuldkultur. Weit über die Rechtsprechung hinaus gibt es zahlreiche Bereiche, in denen man sich nach Regeln richten und mit Sanktionen rechnen muss, wenn man dagegen verstößt. Rechtsprechung, Moral, die Medien und die Modetrends richten darüber, wie akzeptiert jemand ist bzw. seine Handlungen sind.

Heute ist vieles, was früher als Sünde galt, liberalisiert (z.B. Homosexualität), und wahrscheinlich war das in christlich geprägten Gesellschaften nur möglich, weil und seitdem dafür kein direkter Bezug mehr auf Gott angenommen wurde. Das Bewusstsein, dass unser Verhalten und Sosein weitere Auswirkungen und Folgen hat als wir erkennen und überblicken, ist aber nach wie vor relevant und offen. Und sei es nur die Ahnung davon, dass ein Gerichtsurteil oder die Beurteilung einer moralischen Schuld nicht die letzte Bewertung gebracht hat. Die „Goldene Regel“, anderen gegenüber alles zu vermeiden, was man selbst nicht will, ist als Ideal anerkannt. Aber schwer zu verwirklichen.

Vor dem Hintergrund eines evolutionären Gottesbilds kann Sünde nicht mehr als persönlicher Ungehorsam oder als Verlet­zung göttlichen Willens verstanden werden, da die Vorstellung Gottes als einer mythologischen Person im Sinne eines göttlichen Gesetzgebers und Richters nicht mehr haltbar ist (Stadelmann).

Trotzdem kann der christliche Glaube durch die Beziehung der Schuld auf Gott dazu helfen, einen größeren Zusammenhang ins Bewusstsein zu bringen. (Spinoza hat einmal das Böse als „Auflösung des Zusammenhangs“ bezeichnet.) Wird Gott z.B. als der Richter bezeichnet, so wird damit gerechnet, dass ein Schuldiger ganz anders, – d.h. aus einer umfassenderen Perspektive –  beurteilt werden kann, als ein Mensch oder ein Gericht das tut.

Macht die christliche Lehre von der Sünde den Menschen schlecht?

Der Mensch erscheint im Licht der früheren kirchlichen Sündenlehre überwiegend als ein schuld- und sündenbeladenes Wesen – obwohl er andererseits bei seiner Erschaffung als das Ebenbild Gottes bezeichnet wird.

Wir haben es beim christlichen Sündenverständnis mit der Unterscheidung von zwei Ebenen zu tun, mit dem weltlichen, juristisch-moralischen Schuldverständnis und seiner Begrenzung auf „Fehler“, die Menschen machen, und der größeren Dimension, wenn Sünde auf Gott bezogen wird.

Dazu gehört dann auch, was wir anderen Menschen schuldig bleiben, z.B. den unterentwickelten Völkern oder Katastrophenopfern – und den kommenden Generationen! Durch Sünden kommen andere Mitmenschen immer direkt oder indirekt zu Schaden. Aber auch der „Sünder“ wird in seiner Persönlichkeit beschädigt und beeinträchtigt. Seine Beziehung zu anderen Menschen und damit auch zu der größeren Wirklichkeit erscheint gestört.

Die Metapher „Jüngstes Gericht“ ist ein Symbol für die weitreichenden Wirkungen von Fehlverhalten, z.B. Umweltzer­störung, Verschwendung.

Auch das Denken und Wollen wird der Prüfung auf Sünde unterzogen und das nicht nur deshalb, weil darin Motive zu schuldhaftem Tun entstehen. Vielmehr geht es dabei um die gesamte Qualität eines Individuums oder einer Gemeinschaft. Dabei kam es in früherer Zeit besonders bei der Sexualität zu negativen Bewertungen, während z.B. nationalistisches Denken und Fremdenhass erst neuerdings als Sünde gelten.

Die Aussage „Gott sieht alles“ (wie im „Wort zum Sonntag“ an 15.1.2012) wurde früher insbesondere bei der Erziehung von Kindern als Angst machende Drohung dazu benutzt, unerwünschtes Verhalten zu verhindern. Nach neuerem Gottesverständnis wird Gott nicht (mehr) als allgegenwärtiger Aufpasser gebraucht, der jeden einzelnen Gedanken eines Menschen bewertet. Beim Blick auf Völkermorde, unfassbare Holocaust-Gräueltaten und mehr als 55 Millionen Tote im 2. Weltkrieg kann man auf das Böse schließen, das im Menschen steckt, auch wenn er Jahrzehntelang ganz friedlich und bürgerlich lebt; je mehr Böses ihm zugetraut wird, desto realistischer sollten alle Möglichkeiten der Vermeidung von Sünde und Schuld bedacht werden – gerade auch mit der Offenheit für die größere Dimension Gottes. Zu der dann aber auch das Staunen über die Schönheit und den Reichtum des Lebens gehört.

Altertümliche Vorstellungen von Sünde als Symbole interpretieren

Einige biblische und altertümliche Vorstellungen von Sünde – wie Sündenfall, Erbsünde und Sünde als Ursache des Todes – sind heute nur noch von ihrem (damaligen) Symbolgehalt her zu verstehen.

Wer sich für die Annahme des christlichen Glaubens und damit für Offenheit sowohl der eigenen Schuld gegenüber wie für den größeren Zusammenhang der Gerechtigkeit Gottes entschieden hat, muss auch mit dem Problem fertig werden, dass heute viele Kriterien der Schuldfeststellung inadäquat werden oder sich im Nachhinein in bestimmter Hinsicht als falsch oder als überflüssig herausstellen.

Als Beispiele in rechtlicher Hinsicht sind hier die Reform des Ehescheidungs- und Familienrechtes sowie die Paragraphen über die Homosexualität oder die Abtreibung zu nennen, aber auch ein verändertes nationales Selbstbewusstsein, Einstellung zu Minoritäten und das Wirtschafts- und Arbeitsrecht. Neue Kriterien werden für den Umweltschutz und für Kriegsverbrechen und Völkermord entwickelt.

Der „Sündenfall“

Nimmt man die Schöpfungserzählung der Bibel wörtlich, so verstieß das erste Menschenpaar in einem Urzustand gegen das Gebot Gottes, nicht von den Früchten des Baumes der Erkenntnis von Gut und Böse zu essen. Es wurde deshalb aus dem als „Paradies“ verstandenen „Garten Eden“ ausgestoßen. Die Geschichte soll erklären, wie das Böse in die Welt kam. Es ist lebensbedrohlich. Deshalb ist die Unterscheidung zwischen Gut und Böse für die Entwicklung des Lebens und das Überleben grundlegend und lebenswichtig. Etwas ausführlicher soll an diesem Beispiel eine Fehlentwicklung des christlichen Glaubens dargestellt werden:

Es ist ein bedauerliches, in der frühen Kirchengeschichte entstande­nes Missver­ständnis, dass die Geschichte von der Versuchung zum Abfall von Gott, also zur Sünde, irgendetwas mit sexuellen Bedürfnissen zu tun habe. Gilt doch in der jüdischen Tradition Sexualität als hohes Gut, als gute Gabe des Schöpfers. Ein zölibatär lebender Rabbi ist für das Judentum eine un­mögliche Vorstellung. Sexualität zu leben, gehört sogar mit zur Feier des Sabbats.

Selbstverständlich kann Sexualität missbraucht werden. Je kostbarer das Geschenk, desto schmerzlicher sein Missbrauch. Aber das allein kann nicht der Grund sein für die katastrophale­ Fehlinterpretation von Genesis 3 in der christlichen Tradition. Schließlich steht in Gen. 3,5 expressis verbis: „Gott weiß: An dem Tag, da ihr davon esset … werdet ihr sein, wie Gott.“

Das ist Sünde: Mehr sein zu wollen, als endlicher und darum gefährdeter Mensch, der gerade seines Gefährdetseins wegen – was bekanntlich Angst macht – den Traum von Omnipotenz und ewigem Leben träumt. Diese Hybris also: das ist Sünde!

Diese Deutung des Sündenfall-Mythos wird bestätigt durch den Mythos vom Bau des Turms zu Babel. Dort, in Gen 11,4, heißt es: „Wohlauf, lasst uns eine Stadt und einen Turm bauen (Sicherheitsbedürfnis!), dessen Spitze bis an den Himmel reicht (Sein wollen wie Gott!), „denn wir werden sonst zerstreut in alle Länder.“ Also wieder die Angst um die eigene Existenz im Gegensatz zum Vertrauen auf die uns tragende Kraft Gottes. Mit anderen Worten: Glaube oder Unglaube.

Damit ist der Begriff „Sünde“ eindeutig definiert: Aus der Angst um sich selber erwächst die Versuchung, sich zu sichern aus eigener Kraft und damit die Hybris, sein zu wollen wie Gott.

Dieser Glaube, nur durch Leistung, Kraft und Stärke der eigenen Existenz Geltung, Anerkennung und damit Sicherheit geben zu können – mit anderen Worten, seinem Leben durch eigene Kraft Sinn geben zu müssen, – hat unzählige Katastrophen über die Menschheit gebracht:

  • Aus Angst um sich selber, der Angst nämlich, vor Gott zu kurz zu kommen (in der Symbolgeschichte Gen 4 Abels gegenüber seinem Bruder Kain) , ermorden Menschen ihre Mitmenschen.
  • Aus Angst voreinander haben der Osten gegen den Westen und der Westen gegen den Osten die Welt bis an den Abgrund des gemeinsamen Untergangs atomar aufgerüstet.
  • Aus Angst um die eigene Größe („Volk ohne Raum“) hat das nationalsozialistische Deutschland gesungen: „Heute gehört uns Deutschland, morgen die ganze Welt!“ – und mit Kriegen unermessliches Leid über die Welt gebracht.

Erbsünde

Sündig sein und sündigen wird im früheren Gottesverständnis zur totalen Disposition des Menschen: „… mein Sind mich quälte Tag und Nacht, darin ich war geboren. Ich fiel auch immer tiefer drein, es war kein Guts am Leben mein, die Sind hat mich besessen“ (Luther im Lied EG 341,2).

Diese (aus religiöser Sicht) bei allen Menschen wirksame Grundeinstellung wurde als von Eltern „vererbt“ auf Kinder und Kindeskinder verstanden. Niemand kann sich dem Verhängnis entziehen, schuldig zu werden und niemand kann sich in eigener Kraft aus Schuld befreien. Dadurch ergab sich eine Bedürftigkeit für Gnade und Erlösung des Menschen. Das vollzieht sich aber nicht durch natürliche Vererbung.

Sünde als Ursache des Todes?

In der Schöpfungsgeschichte (1.Buch Mose, Kap. 3) und bei Paulus (Der Tod ist der Sünde Sold, Röm 6,23) wird die Sünde urgeschichtlich als Ursache des Todes aufgefasst; sie hat nach diesem Verständnis prinzipiell lebensfeindliche Konsequenzen.

Neuere theologische (!) Kritik an der christlichen Sündenlehre lehnt die damit meist verbundene Überbetonung der Verdorbenheit und Schlechtigkeit des Menschen ab. Immerhin haben Menschen durch die „Vertreibung aus dem Paradies“ durch die Evolution auch die Erkenntnismöglichkeit des Guten und nicht nur des Bösen mitbekommen. Die vor allem durch das Gedankengut der Aufklärung in vielen Verfassungen, insbes. auch im deutschen Grundgesetz verankerte Betonung der Würde des Menschen hat eine positivere Sicht des Menschen hervorgebracht, die auch die christliche Auffassung vom Charakter des Menschen nicht unverändert gelassen hat. Insbesondere in der Erziehung hat sich die Auffassung durchgesetzt, dass es darum geht, alle guten und positiven Anlagen des Kindes zur Entfaltung zu bringen und damit negativen Einflüssen und Entwicklungen von vornherein den Boden zu entziehen, ohne aber gegenüber möglichen Fehlentwicklungen blind zu sein.

Vergebung gegen Schuld und Sünde

Die Abgrenzung, Feststellung und Annahme individueller oder gemeinsamer Schuld geschieht bei Christen in der Hoffnung bzw. Gewissheit, dass es in der größeren Wirklichkeit Gottes neuen Anfang und weiterführende Bewertungen gibt. In dem wohl bedeutsamsten Gebet Jesu heißt es: „Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern.“ Er hat selbst noch am Kreuz denen vergeben, die ihn getötet haben.

Vergebung ist als Verzicht auf Rache und Vergeltung (nicht nur von Machthabern!) ein Zivilisationsfortschritt. Es gibt sie auch in anderen Religionen. Sie wurde schon in der antiken Philosophie hoch bewertet.

Es soll und kann nicht behauptet werden, dass die Möglichkeiten und Zielsetzungen der Vergebung nur aus dem christlichen Glauben kommen können. Aber sie können und sollten aus dieser Grundeinstellung konsequenterweise folgen und auch praktiziert werden.

Für manche Christen ist Vergebung kein Vorgang, der sich im Himmel abspielt, wo Gott – auf die Bitten von Menschen hin – Vergebung gewährt. Beatrice v. Weizsäcker dazu: „Gott muss uns nicht vergeben. Er braucht unser Flehen nicht. Wir sind es, die es brauchen. Unsere Bitte an Gott, uns zu vergeben, ist letztlich nichts anderes als die Bitte, uns dabei zu helfen, unser schlechtes Gewissen loszuwerden und uns selbst zu verzeihen, unser reines Herz wiederzufinden. Ein reines Herz bekommen wir nur durch uns selbst. Wenn wir ehrlich zu uns sind, unsere Fehler bei uns suchen und zu ihnen stehen. Ein Fehler wird nicht dadurch zum »Nichtfehler«, dass wir beten. Ein Fehler wird zum »Nichtfehler«, wenn wir ihn erkennen und abstellen. Dann ist unser Herz wieder rein – wenn natürlich auch nicht gefeit vor neuen Fehlern. Ein Gebet dient zwar immer der Suche nach Gott und der Bitte um Hilfe. Es dient aber auch der Selbstvergewisserung, der Selbstläuterung, wenn man so will. Es dient nicht Gott, sondern uns. Wenn es stimmt, dass Gott uns nimmt, wie wir sind, müssen wir ihn auch nicht um Vergebung bitten. Da sind wir selbst gefragt. Denn wir sind es, die andere verdammen, andere kränken, die in »Versuchung« geraten, die »Böses« tun. Die »schuldig« werden und »Vergebung« brauchen, um in der Sprache des Vaterunsers zu bleiben. So wenig wir das Böse in der Welt und in uns auf Gott abwälzen können, so wenig können wir ihm die Vergebung aufbürden. Ein Gott, der weiß, was wir benötigen, noch ehe wir ihn darum bitten, der weiß auch, dass wir Vergebung brauchen.“

Vergebung kann auch aus der Perspektive der Rechtfertigung von schuldigen bzw. sündigen Menschen betrachtet und erlebt werden. „Wie kriege ich einen gnädigen Gott?“ war eine existenzielle Glaubensfrage Martin Luthers, die er mit „Aus Gnade, nicht für Leistung und Werke“ beantwortete. Da geht es dann nicht mehr um Schuld und Sünde im Einzelfall, sondern um das gesamte Verhältnis von Menschen zu Gott. In diesem Zusammenhang wird die Gewährung von Vergebung mit Gnade begründet. Das widerspricht aber nicht der Beachtung von Formen der Erfahrung von Vergebung, wie sie in den folgenden Voraussetzungen für den Empfang von Vergebung dargestellt werden. (Die dafür von der Kirche entwickelte detaillierte Praxis der Gnadenverwaltung brachte allerdings viele Menschen in eine mit dem christlichen Glauben unvereinbare Abhängigkeit. Martin Walser hat in seinem 2010 erschienenen Buch „Rechtfertigung“ gezeigt, dass die Rechtfertigung auch ohne einen Glauben an Gott im traditionellen Sinn ein elementares humanes Problem ist). Siehe auch Hoffnung über den Tod hinaus, neuzeitliche Verstehensansätze.

Voraussetzungen für den Empfang der Vergebung.

Erkenntnis der Schuld bzw. der Sünde

Schuld und Sünde werden im christlichen Glauben erkennbar durch die Beachtung der Gebote (Gottes), der „Goldenen Regel“ oder durch den Einfluss anderer vorbildlicher Personen, insbesondere des Jesus von Nazaret, oder durch Begegnung mit Gott (wie es in einem Bekenntnis der Baptisten enthalten ist: „In der Begegnung mit Jesus Christus erfahren wir das Böse in uns und in gesellschaftlichen Strukturen als Sünde gegen Gott.“ (zit. nach Wikipedia).

Beatrice v. Weizsäcker meint (in „Ist da jemand?“), Vergebung von Gott sei unnötig, weil Gott niemand verdammt. Statt über Sünde gegenüber Gott nachzudenken sei es besser, die eigenen Fehler zu erkennen und abzustellen.

Dazu kann auf die von Mitmenschen geübte Kritik verhelfen, auch wenn es meist schwer fällt, die anzunehmen.

Schuld lässt sich häufig auch als Ursache für schädliche Wirkungen erkennen.

Ohne Reue keine Vergebung

Reue ist das Gefühl und/oder die Erkenntnis, falsch gehandelt zu haben, Unzufriedenheit, Abscheu, Schmerz und Bedauern über das eigene fehlerhafte Tun und Lassen, verbunden mit dem Bewusstsein von dessen Unwert und Unrecht sowie mit dem Willensvorsatz zur (wenn möglich) Wiedergutmachung und Besserung.

An vielen Bibelstellen ist aber von Reue als Voraussetzung zur Vergebung nicht ausdrücklich die Rede. Sie wird in frühchristlicher Zeit in der Annahme der Taufe ihren Ausdruck erhalten haben. (Petrus antwortete ihnen: Kehrt um und jeder von euch lasse sich auf den Namen Jesu Christi taufen zur Vergebung seiner Sünden; dann werdet ihr die Gabe des Heiligen Geistes empfangen.“ Apostelgeschichte 2,38).

Durch die Reue wird die Schulderkenntnis in den größeren Zusammenhang des Glaubens gestellt.

Psychologisch gesehen kann langes und stark empfundenes Bedauern einer als schuldhaft bewerteten Tat oder Unterlassung zu erheblichen Persönlicheits­störungen führen.

Im rechtlichen Bereich kann gezeigte (insbesondere „tätige“) Reue das Strafmaß verringern.

Reue wird eingeschränkt oder verhindert durch die Neigung schuldig gewordener Menschen, sich zu ihrer Entlastung zu „entschuldigen“, indem sie das Vergehen als nicht so schlimm, teilweise berechtigt oder gar nicht als Schuld anerkennen. Sehr oft wird auch auf eine Mitschuld des Opfers bzw. eines schuldhaft Geschädigten, z.B. bei sexuellem Missbrauch, hingewiesen bzw. eine solche behauptet (was oft zu großen seelischen Problemen bei den Opfern führt). Der Glaube wird dafür keine Begründung zulassen, die nur der eigenen Entschuldigung dienen soll.

Im Bewusstsein größerer Wirklichkeit gibt es die Bitte um Vergebung für Schuld und Sünden, die auch Gläubigen nicht bewusst sind oder nicht erkannt werden („Jeder ist an allem schuld“ lautet ein Ausspruch des Dichters Dostojewski).

Vergebung empfängt nur wer selbst anderen vergibt.

„..und vergib uns unsere Schuld, … wie auch wir vergeben unseren Schuldigern“ heißt es im Vater-unser-Gebet Jesu.

Voraussetzung für den Empfang von Vergebung von Gott ist, dass ein Mensch selbst auch anderen vergibt, die an ihm/an ihr oder anderen oder an der Umwelt schuldig geworden sind.

Formen des Empfangs von Vergebung

Nach evangelischem Verständnis wird in der Feier des Abendmahls Vergebung empfangen. Das zeigen die sog. Einsetzungs-Worte: „…für euch gegeben und vergossen zur Vergebung der Sünden.“ Dazu Luther in seinem Katechismus: „Und wer diesen Worten glaubt, der hat, was sie sagen und wie sie lauten, nämlich: Vergebung der Sünden.“

Es ist also für den christlichen Glauben kein (notwendigerweise öfters erfolgender) Akt Gottes nötig, der nach einer Prüfung, ob die Reue ausreichend ist oder nicht, über die Gabe der Vergebung im Einzelfall entscheidet.

Diese kann vielmehr auch in der Zusage bzw. im Verhalten eines anderen (nicht nur:!) Christen oder eines Amtsträgers (z.B. bei einer Beichte oder Abendmahlsfeier, im Gespräch) oder durch unmittelbare Erfahrung von Gottes Zuwendung in Gebet und Kontemplation empfangen werden.

Auch durch das Lesen entsprechender Stellen in der Bibel kann die Gewissheit entstehen, Vergebung von Sünden zu empfangen; oder wenigstens deren Möglichkeit zu erkennen.

Gläubige können Vergebung für alle Sünden, für alle Schuld und alle Menschen für möglich halten, obwohl es für menschliche Erkenntnis viel „Unentschuldbares“ gibt. Sie sehen eigene und fremde Sünde und Schuld im größeren Zusammenhang der Wirklichkeit Gottes „aufgehoben“, auch wenn ihnen das im Einzelfall (und besonders bei großen Verbrechen) nur in kleinen Ansätzen und Schritten möglich ist.

Die Frage, wie Schuld und Sünde zu beurteilen (und damit zu leben!) ist, wenn sie vergeben und bestraft worden sind, wird heute mehr in Talkshows behandelt als in der Kirche und Theologie. Das ist anzuerkennen, weil dadurch Möglichkeiten der Reflexion und Verarbeitung von Schuld bekannt werden und dabei meistens sowohl die Schuldigen wie auch die „Opfer“ zu Wort kommen. Zuschauer können sich im Abstand als Unbeteiligte eigene Gedanken zu diesem schwierigen Thema machen und Anregungen zu einem verantwortungs­bewussten Umgang mit eigener Schuld mitnehmen.

Von der vergangenheitsorientierten Einstellung zu neuen Wegen

Vergebung bedeutet die Zurückstellung einer ichbezogenen, vergangenheits- und normorientierten Einstellung, auch dort, wo sie im Augenblick berechtigt erscheint. Vielmehr wird eine offene, zukunftsbezogene und zusammenhangorientierte Sachlichkeit angestrebt, die sich gemeinsam mit dem/den anderen um die Lösung der anstehenden Probleme bemüht, indem neue Wege gesucht und soviel Hindernisse wie möglich ausgeschaltet werden. Christen lassen es nicht nur bei Verurteilung, Bestrafung und Wiedergutmachung bewenden. Das ist allerdings eine sehr anspruchsvolle Einstellung, die viel Gedankenarbeit erfordert und sicher auch oft enttäuscht wird und erfolglos bleibt.

Der sündige Mensch ist nach diesem Verständnis nicht als ganzer schlecht, d.h. nicht mit seiner Schuld identisch. Das kommt auch in zahlreichen Worten der Bibel für Vergebung von Schuld zum Ausdruck, z.B. waschen, reinigen, abwaschen, bedecken, wegnehmen, wegschaffen). Der allgemeine Begriff der Schuld erlaubt in der Anwendung auf den Einzelfall vielfache Differenzierungen.

In der Offenheit des Glaubens für MEHR und größere Wirklichkeit wächst die Fähigkeit und die Bereitschaft, Fehler zuzugeben und zu korrigieren, weil und wenn es nicht nur um die eigene Person geht. Den größeren Zusammenhang sehen – das ist schon ein Schritt im gelebten Glauben an Gott. Ob man es so nennt oder nicht.

Auf gegenseitiges Aufrechnen von Schuld verzichten

Der christliche Glaube geht davon aus, dass wir vielen anderen im Vergleich zu unseren Gaben und Möglichkeiten etwas schuldig bleiben und sie uns.

Der Glaube als Offenheit bringt aber auch die Möglichkeit, das gegenseitige Aufrechnen der größeren oder kleineren Schuld aufzugeben, weil er die Konflikte in einem größeren Zusammenhang sieht. Eine Verständigung braucht nicht mehr daran zu scheitern, dass die Schuld des oder der anderen als etwas größer als meine eigene angesehen wird.

Vergebung ist eine konstruktive soziale Methode

Vergebung ist die Erfahrung in der Offenheit des Glaubens, dass es einen Ausweg aus dem keine kreative und weiterführende Lösung erlaubenden Zwang der Normen und Gesetze gibt. Durch Aussprache, Bereuen und Vergeben in versöhnlicher, friedlicher Weise wird zur Konfliktlösung beigetragen, bis hin zur praktizierten Feindesliebe. In vielen Gleichnissen Jesu (z.B. Mt. 18,21 ff, Lk. 15,11) ist die Möglichkeit dieses Verhaltens in Bildern und Modellen beschrieben. Jesus hat die Möglichkeit der “Vergebung” vertreten bis zu der Konsequenz, dass er nicht verstanden und getötet wurde. Mit Jesus ist ein Anfang gemacht, der vielen Menschen dieses Verhalten der Solidarität und Vermittlung ermöglicht. Es ist keine herablassende Überlegenheit damit verbunden (“Ich vergebe dir…”), vielmehr entspricht der Vergebung die sachlich und menschlich begründete Wahl einer weiterführenden, konstruktiven, sozialen Methode, zu der auch andere eingeladen werden (in einem Lexikon-Artikel wird sie als “Strategie” bezeichnet. Diese kann u.a. unterstützt werden durch die Methode der Mediation).

Schuld zugeben – nur wenn es gar nicht anders geht?

Der christliche Glaube befähigt zum Zugeben von Schuld

Die Zusage der Vergebung Gottes erleichtert gläubigen Christen das Zugeben von Schuld – oder sollte das umso mehr dann tun, wenn die anderen Beteiligten auch Christen sind. (Stattdessen wurden aber lange Zeit unter Christen Schuldvorhaltungen im Übermaß produziert.)

Durch den exemplarischen Vollzug allgemeiner Schuldfeststellung im entspannten Feld der Gemeinde bzw. des Gottesdienstes kann das Zugeben von Schuld im Einzelfall und sogar gegenüber dem Gegner vorbereitet und erleichtert werden.

Für die wissenschaftliche Arbeit ist das Eingeständnis von Fehlern und das „Umdenken“ hochbewertete Voraussetzung, in der Praxis des Alltags (und bei kirchlichen Auseinandersetzungen!) ist es allerdings immer noch selten. Deshalb ist es Aufgabe der Kirche, den Funktionswert des Zugebens von Schuld allgemein und im Einzelfall aufzuzeigen, nicht zuletzt auch durch das eigene Beispiel. Das Zugeben von Schuld kann eine Aggressionshemmung beim Gegner, Freund und „Bruder” bewirken. Das bringt meist auch eine Versachlichung des Problems, welches durch das Zugeben der eigenen Schuld besser in den Blick kommt. Bei anderen kann sich auch ein Interesse für die Grundhaltung entwickeln, aus der heraus Schuld zugegeben wird (und werden kann!). Wer das Zugeben von Schuld geübt hat und das deshalb auch bei anderen nicht als Blöße ausnutzt, wird nicht aggressiv oder angstvoll, sondern mit Interesse und offen reagieren, wenn er auf eigene Schuld angesprochen wird. Er oder sie wird gar nicht mit sich selbst allein abmachen wollen, was eigene Schuld ist und wie sie verarbeitet oder getilgt werden kann, weil durch die Offenheit des Glaubens größere Zusammenhänge erkennbar werden. Schwere Schuld ist allerdings ein harter Prüfstein für die Solidarität, Gemeinschaft und Kommunikation mit anderen, auch wenn Vergebung ausgesprochen wird. So wird z.B. der Verlust eines Menschen durch Mord u.U. durch nichts zu ersetzen oder zu kompensieren sein.

Die Frage nach der ethischen Disposition des Menschen für gutes und böses Handeln wird aber zunehmend ohne Bezug auf die „theologische Dimension Gott“ gestellt. Dies steht im Zusammen­hang mit dem Vorwurf, gerade das Christentum habe eine Schuldkultur entwickelt, die nicht zuletzt der Kirche durch Erzeugung von übermäßigem Schuldbewusstsein zu einer ihr nicht zukommenden Macht über die Menschen verholfen habe.

Vergebung ist nicht abhängig von Gegenleistung

Es ist eine wesentliche Besonderheit der christlichen Vergebung, dass der Glaube an diese Möglichkeit und die Wahl des entspre­chenden eigenen Verhaltens nicht von der Bereitschaft der Konfliktpartner, ein Gleiches zu tun, abhängig gemacht wird. Vielmehr rechnet der Christ damit, dass eine erhebliche Vorgabe eigenen Einsatzes in dieser Richtung notwendig ist, um bei der meist tiefgehenden normativen Fixierung menschlichen Handelns auch bei anderen eine Veränderung des Verhaltens zu ermög­lichen. Dieses Verhalten entspricht der Zusage, dass die Vergebung Gottes ohne Bedingungen oder Gegenleistung gewährt wird.

Auf dem Weg zu einer neuen Schuldkultur

Schuld zugeben – wer tut das schon gerne, wenn Nachteile damit verbunden sind?

Schuldigwerden und Sündhaftigkeit gegenüber Gott war früher ein Hauptthema des Glaubens. Heute wird es fast immer auf Mitmenschen, auf andere, auf den Nächsten, auf die Gesellschaft bezogen, neuerdings aber auch auf die Natur, auf unsere Erde.

Viele stellen sich aus der Sicht ihres Glaubens u.a. folgenden Fragen:

  • Wie gehen wir verantwortungsvoll mit unserem täglichen Schuldigwerden um?
  • Welchen Wert hat und was bewirkt Vergebung?
  • Wie bringen wir die Bereitschaft auf, erlebte Schuld anderer zu verzeihen?
  • Kann der persönliche Glaube dabei helfen?
  • Kann man Vergebung anderer mit dem Hinweis auf deren hohe Bewertung im christlichen Glauben erbitten?
  • Welche Bedeutung hat Jesus für Christen bei dieser Frage ?

„Der Begriff Sünde“ bringt einen größeren Zusammenhang ins Bewusstsein als der Begriff „Schuld“. Mit Schuld bezeichnet man in der Regel ein konkretes Fehlverhalten in einer bestimmten Situation, mit Sünde einen Zustand der Gottferne, der Isolation vom größeren Zusammenhang.

Der christliche Glaube trägt durch die Beziehung der Schuld auf Gott dazu bei, einen größeren Zusammenhang ins Bewusstsein zu bringen. Wenn Gott als der Richter bezeichnet und geglaubt wird, so muss damit gerechnet werden, dass ein Schuldiger ganz anders beurteilt werden kann, als ich das tue oder ein Gericht. Wenn zum Beispiel durch falsches Überholen auf der Autobahn ein schwerer Unfall passiert und die Autobahn für Stunden blockiert ist, so wird der/die Schuldige strafrechtlich und zivilrechtlich zur Verantwortung gezogen. Der Verlust der fast tausend Wartenden an Zeit, verabredeten Begegnungen, Geschäften oder Erfahrungen wird dadurch nicht erfasst und meist nicht einmal bedacht.

Schuldig auch ohne Sünde

Auch wenn heute bei Fehlverhalten häufig nicht mehr an Sünde gegenüber Gott gedacht wird, spielen in den meisten modernen Gesellschaften Schuldzuweisungen doch eine große Rolle. Vor allem die Medien sind die Rechercheure und Ankläger, die Stammtische und Talkshows sind die gnadenlosen Richter. Schuldbekenntnisse und Rücktritt lassen das Strafmass erkennen. Meist gibt es keine mildernden Umstände. Viele in Ungnade Gefallene sind aber nach kurzer Zeit wieder da und obenauf. Man hat ja seinen Spaß daran. Wem sind schon größere Zusammenhänge zugänglich? Christen werden jedenfalls danach fragen und daran denken dass es sie gibt, auch wenn sie nur im Ansatz zugänglich sind.

Emotionale Abwertung der Gegenseite und Vergeltung vermeiden

Wahrscheinlich sind es nicht so sehr die objektiven Schwierigkeiten der durch Konflikte oder Schuld entstehenden Probleme, sondern die Fixierung auf Schuldprojektionen, die eine für alle Beteiligten günstige gemeinsame Lösung verhindern.

Emotionale Abwertung von (tatsächlich oder vermutlich) “Schuldigen” bewirkt meist auch eine Ablenkung von der Erkenntnis neuer Möglichkeiten und Wege. Auch die Vergeltung kann nicht als konstruktive Problemlösung angesehen werden. (Das zu glauben und zu realisieren fällt besonders angesichts großer und schrecklicher Verbrechen immer wieder schwer, insbesondere gegenüber dem Terrorismus in den letzten Wochen. Was wäre nach dem 2. Weltkrieg aus Deutschland geworden, wenn von den Siegermächten nur Vergeltung geübt worden wäre?)

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