6. Kommunikation mit Gott
Ist es möglich, Verbindung mit Gott aufzunehmen – ihm etwas mitzuteilen oder etwas von ihm zu empfangen? Für betende Gläubige ist das selbstverständlich. Aber nicht nur im Blick auf neuere naturwissenschaftliche Erkenntnisse ist zu fragen, was mit „Offenbarung“ gemeint ist und mit der Bezeichnung der Bibel als „Gottes Wort“. Auch in der Theologie verändert sich die Kommunikation mit Gott, wenn es von ihm auch andere Vorstellungen gibt als die einer – wie einen Menschen anzusprechenden – Person . Wie wirkt es sich in der Kommunikation mit Gott aus, wenn mehr als früher daran gedacht wird, dass Gott größer und anders ist als unsere Vorstellungen von ihm? Ist er dann auch anders und auf verschiedene Weise ansprechbar?
Vielfalt der Kommunikation mit Gott
Wenn Gott nicht nur (wie vom frühaufklärerischen Universalgelehrten G.W. Leibniz) als ein Uhrmacher dargestellt wird, der die Welt mit Raum und Zeit geschaffen hat – sie läuft seitdem, ohne dass er eingreift, von selbst – , dann gibt es auch verschiedene und wechselnde Verbindungen zu ihm. Die häufigste Art der Kommunikation mit Gott ist das Gebet. Aber auch das Denken an ihn, besondere Erfahrungen (z.B. als „Offenbarung“) oder Rituale und Symbole können mehr oder weniger intensive Kontakte mit Gott vermitteln. Die Erwähnung Gottes in täglicher Rede („Ach du lieber Gott…“) ist zwar fast immer nur noch eine entleerte Formel, enthält aber doch einen Bezug zu der damit bezeichneten größeren Wirklichkeit (obwohl sie gegen das Gebot „Du sollst den Namen Gottes nicht missbrauchen“ verstößt). .
Die Welt, wie wir sie mit dem Verstand und naturwissenschaftlichen Methoden erkennen können, lässt die Dimension der Transzendenz meist unbeachtet. Fragen nach dem Sinn des Lebens sind aber nur beantwortbar, wenn auch der spirituelle Zugang anerkannt wird.
Kommunikation mit Gott kann direkt oder indirekt, bewusst oder unbewusst stattfinden. Ihr Verständnis ergibt sich aus den Aussagen von Gläubigen. Eine Kommunikation mit Gott ist in allen Glaubensformen möglich. Die Form und der Inhalt sind abhängig von dem Gottesbild des oder der Gläubigen. Persönliche Aussagen über Gott (und seinen Willen, seine Hilfe, seine Wertungen, Pläne, Warnungen) erwecken oft den Eindruck, dass sie in besonderer Kommunikation mit Gott begründet sind.
Eine Kommunikation mit Gott ist für viele selbstverständlich und unbedingt erforderlich, sei es mit einem persönlichen Gott oder mit einem non-theistischen Gott oder „Urgrund allen Seins“. Sie ist besonders notwendig und oft auch hilfreich in schweren Lebenslagen, besonders wenn man auf frühe religiöse Prägungen zurückgreifen kann.
Viele Namen und Vergleiche für Gott legen es nahe, von ihm unter Verwendung des Feldbegriffs zu sprechen. Kommunikation mit Gott wird dann als mehrfache Beziehung wahrgenommen. Das Wort Feld deutet auf den Zusammenhang des Wirkens von Gott als Geist und Kraft hin. Wie das Bildwort vom „Reich Gottes“ oder „Himmelreich“ reicht es weit über das kleine Umfeld von einzelnen Menschen und Gruppen hinaus und kann eine Metapher für die überpersönliche All-Gegenwart Gottes /der größeren Wirklichkeit sein. In den Naturwissenschaften wurde ein Feldbegriff entwickelt, der Erkenntnisse generiert, die ein Zusammenwirken von geistigen und physikalischen Kräften möglich erscheinen lassen.
Gott wird auch als Kraft erlebt, erfahren und benannt. Das kann das verbreitete Gottesverständnis als Person ergänzen und erweitern.
Nach M. Kroeger ist Gott „eine Kraft, die schafft, beschenkt, fordert, vernichtet, zu der anbetendes In-Beziehung-Treten ohne Festlegung auf wie auch immer geartete theologische oder philosophische Begriffe möglich und lebensdienlich ist.“
Der Theologe G. Theißen hat (in „Glaubenssätzen“ S. 58) eine Vielzahl neuerer Bezeichnungen für Gott aufgeführt, die auch eine andere Art der Beziehung zu dieser größeren Wirklichkeit ermöglichen und erfordern:
Gott ist das Geheimnis der Wirklichkeit.
Gott ist die alles bestimmende Wirklichkeit.
Gott ist etwas, über das hinaus nichts Größeres gedacht werden kann
Gott ist das, was die Welt im Innersten zusammenhält.
Gott ist der Grund des Seins.
Gott ist die Tiefe des Seins.
Gott ist das Ewig Eine.
Gott ist die eine Substanz in allen Dingen: deus sive natura.
Gott ist Unendlichkeit.
Gott ist das Umgreifende.
Gott ist das Woher schlechthinniger Abhängigkeit
und unseres empfänglichen und selbsttätigen Daseins.
Gott ist Postulat moralischen Handelns,
Gott ist die moralische Weltordnung,
Gott ist, worauf Du Dein Herz hängest und verlässt.
Gott ist das, was einen Menschen unbedingt angeht.
Gott ist Wille zum Leben.
Gott ist das Woher meines >Du sollst!< und >Du darfst!<
Gott ist das ewige DU.
Gott ist das Umhergetriebensein vom andern Menschen her.
Gott ist Letztpunkt lebensweltlicher Orientierung.
Gott ist Einheit von Gegensätzen,
coincidentia oppositorum:
»die absolut-relative,
diesseitig-jenseitige,
transzendent-immanente,
allesumgreifend-allesdurchwaltende
wirklichste Wirklichkeit
im Herzen der Dinge,
im Menschen,
in der Menschheitsgeschichte,
in der Welt.«
Die Vielzahl der Formeln erklärt, dass es keine einzige gibt, die allein und überhaupt annähernd Gott bezeichnen könnte. Es ist kaum noch möglich und auch nicht nötig, sich Gott nur in einer überhöhten anthropomorphen Art vorzustellen. Die bisherigen religiösen Kommunikationsformen sind zu erweitern und z.T. neu zu entwickeln.
Gott als Person erfahren
Christen sehen sich in der Beziehung zu Gott, der ihren letzten Grund des Seins darstellt. Ganz überwiegend wird Gott im Glauben als Ansprechpartner erlebt, der menschliche Züge trägt, der (einzelne und viele, alle!) Menschen hört, sieht, ihnen antwortet, hilft, zürnt. Dabei wird selbstverständlich das „Du“ auf der anderen Seite vorausgesetzt. Jede/r Gläubige kann ihrer/seinerseits in einer ganz persönlichen Beziehung (mit all den Details der individuellen Situation) zu Gott stehen. B. v.Weizsäcker glaubt zwar erklärtermaßen nicht an einen Gott als Person, spricht ihn aber doch ganz individuell und wie eine hörende Person an (in: „Ist da jemand?“).
„Es ist der Gott, mit dem ich in meiner Sprache, mit der ich auch mit Menschen kommuniziere, in Gebet und Meditation sprechen kann. Allein oder mit anderen zusammen. Laut oder nur in Gedanken. Ich werde es mit Worten tun, die Respekt und Ehrfurcht ausdrücken. In der Not und in der Verzweiflung werde ich das vergessen und hoffen, dass Gott mich trotzdem hören will. Ohne dass ich mir ein persönliches Gegenüber vorstelle, werden mir die rechten Worte fehlen. Von klein auf habe ich immer nur mit einem persönlichen Gegenüber geredet und dabei auch gelernt, was Bitten, was Vertrauen, was Enttäuschung und allein gelassen bleiben heißt.“
Wir sind immer angewiesen auf andere. Wir benennen die Dinge und Personen. Damit setzen wir uns in Beziehung zu einem Gegenüber. Und wie immer Menschen sich das Göttliche vorstellen, sie sprechen es an als Gegenüber. (Nur die mystische Frömmigkeit macht da eine Ausnahme).
Wer aber glaubt – und vom Glauben sollten wir nur reden, wenn der Glaube an „Gott“/ an eine größere Wirklichkeit gemeint ist, denn der Glaube ist diese „Offenheit für MEHR“ – der vertraut darauf, von diesem verborgenen Gegenüber gehört zu werden in Gebet und Meditation. Und er vertraut oder hofft darauf Antwort zu erfahren, deren Ausbleiben der Glaubende angstvoll als Gott-Verlassenheit deutet.
Die Mystik vertritt das Ineinander von persönlichen und überpersönlichen Zügen Gottes.
Gott ist größer und anders als unsere Vorstellungen von ihm
Gott ist für viele christliche Gläubige eine ansprechbare Person, für manche eine alle menschliche Vorstellungen und Namen überschreitende größere Wirklichkeit. „Non-theistisch“ (d.h. anders als Gott-Person mit vergleichbar menschlichen Eigenschaften verstanden) bedeutet nicht ein „Weniger von Gott“, als vielmehr das ehrfürchtige Staunen vor dem unfassbar großen Geheimnis des Seins, vor der allumfassenden Macht, die mit dem Urwort „Gott“ gemeint ist. Diese Macht, dieses Geheimnis ist nicht nur als supranaturale „Gottperson“ mit gesteigerten menschlichen Eigenschaften angemessen beschrieben.
Auf diese Weise kann versucht werden zu vermeiden, dass eigene Vorstellungen von Gott zu dem Glauben verleiten, Gott sei wirklich und ganz genau so, wie das Bild von ihm, das wir uns machen, etwa das eines Übermenschen im Himmel.
Unser Vorstellungsvermögen kann Gott aber nicht fassen. Menschen haben Schwierigkeiten, sich etwas vorzustellen, was sie aus unserer Umwelt nicht schon kennen. Die Vorstellungskraft reicht nur so weit, dass sie beschreibt und neu zusammensortiert, was wir irgendwo schon einmal gesehen oder erlebt haben.
Der Mensch redet von Gott und setzt dabei, bewusst oder unbewusst, ständig seine eigenen Verhältnisse und Möglichkeiten voraus. Somit wird jedes Bild, das wir uns von Gott machen, falsch, denn Mensch bleibt Mensch. Es mag ärgerlich und beunruhigend sein, dass unsere menschlichen Möglichkeiten, nicht ausreichen, um uns Gott vorzustellen. Vielleicht ist es aber auch ein gutes Gefühl, dass Gott so ganz anders ist als alles, was wir einordnen können.
Gott ist auf verschiedene Weise ansprechbar, nicht nur wie eine Person.
„Es ist durchaus möglich, verschiedene Gottesvorstellungen abwechselnd zu gebrauchen. z.B. auch mal beim Zähneputzen danke zu sagen, ohne Gott anzusprechen – und dann auch wieder DU zu ihm zu sagen. Er oder sie oder es umgibt mich ja von allen Seiten und ist in allen Zusammenhängen als größere Wirklichkeit da: Das kann Anlass sein, mehr und anderes von Gott zu erleben und zu entdecken, als bei einer stark anthropomorph bestimmten Vorstellung.
Es gibt viele ungewohnte und neue Formen und Möglichkeiten für den Gottesglauben: Offenwerden für größere Wirklichkeit und das Ganze – für das „Wunder“ des Lebens und der Welt, im Kleinen, Nächstliegenden, und im weiten Raum.
„Das Bekenntnis zum Einen Gott in „drei Personen“ übersteigt zudem einen allzu gegenständlichen Personbegriff.“ Im Unterschied zu Stadelmann, der das Bild von einem dreieinigen Gott als mythologisch und mit dem evolutionären Weltbild nicht vereinbar aufgeben will, sehen wir darin brauchbare Variationsmöglichkeiten für die Kommunikation mit dieser vielfältigen höheren Wirklichkeit. (Praktische Vorschläge dafür sind in Küstenmacher Gott 9.0 enthalten.)