13. Hoffen über den Tod hinaus?
Für eine Hoffnung über den Tod hinaus gibt es viel Ermutigung und Zeugnis. Erstaunlich, wie viel früher Kirche, Gläubige und Künstler über das Leben nach dem Tod wussten. Wird das heute noch akzeptiert? Als Begründung hierfür wird die Berufung auf Jesus und seine Auferstehung herangezogen; aber doch auch gefragt, ob solche antiken Formulierungen des Bekenntnisses noch die Hoffnung in Moderne und Postmoderne leiten kann. Und wer will schon zu einem Endgericht auferstehen (und jetzt schon Angst davor haben), in dem das eigene Bestehen höchst ungewiss ist?
Trotzdem hat die christliche Botschaft den Mut und die Zuversicht zu einer größeren Hoffnung, indem sie an das Gebot der Liebe anknüpft: Lieben heißt einem Menschen sagen: du wirst immer da sein. Für mich wirst Du immer da sein! Die Hoffnung über die Todesgrenze hinaus wurzelt in der Zusage: „Gott ist Liebe“ (1. Joh 4,16).
Überlieferte Hinweise
„Auferstehung der Toten und das ewige Leben.“ In diese doppelte positive Hoffnungsaussage mündet das apostolische Glaubensbekenntnis in seinem dritten Artikel. Gegen alle Ängste ist ein großes Hoffnungsziel aufgerichtet.
Aber was ist damit gemeint? Missverständnisse drängen sich auf. Die „Auferstehung der Toten“: besagt sie etwas anderes als eine körperliche Fortsetzung der hiesigen Existenz im Jenseits? Und das „ewige Leben“: heißt das eine endlos gedehnte irdische Zeit, eher öde als wirklich wünschbar?
Das Bekenntnis verlangt danach, im Ganzen gedeutet zu werden; im Gespräch mit den biblischen Aussagen, die zu ihrem Sinnhorizont gehören. Dann zeigt sich bald: ein wörtlich-äußerliches Verständnis der Hoffnung wird hier schon im Grunde aufgebrochen.
Das ewige Leben: Die Hoffnung der Christen beruft sich auf den lebendigen Gott des ersten Artikels. Er selber heißt biblisch der Ewige (1. Mose 21,33). Das meint mehr als eine unendliche Zeitdauer. Der ewige Gott ist für den Glauben der Lebendige, der Schöpfer des Himmels und der Erde, der Abraham beruft und sein Volk durch Mose aus der Knechtschaft führt, mit ihm einen Bund schließt und ihm seine Gebote anvertraut. Dieser ewige Gott des Lebens gibt Zukunft. Er bricht seine Beziehung nicht ab im Tod. Nicht die Beziehung zu seinem Volk. Seine Treue bewahrt er, wie in den Psalmen immer gewisser bekannt wird, auch gegenüber dem Einzelnen. „Wenn mir gleich Leib und Seele verschmachtet, so bist du doch, Gott, allezeit meines Herzens Trost und mein Teil“ (Psalm 73,26). Ewiges Leben: das meint schon im apostolischen Bekenntnis die Gemeinschaft mit dem ewigen Gott. Diese Gemeinschaft ist durchaus diesseitig, an ein jenseitiges ewiges Leben zu glauben, beinhaltete dies nicht – wenngleich solche Überzeugungen tröstend sein können. „Ewigkeit Gottes“ war also die Bezeichnung und die Vorstellung von erfahrener Verlässlichkeit und Dauer der Beziehung zu Gott „Jahwe“.
Die Auferstehung der Toten:
Das Neue Testament nimmt die Hoffnungs-Linien Israels auf und verknüpft sie mit Jesus Christus. Der Weg des „Gottessohnes“ prägt den zweiten Artikel des apostolischen Bekenntnisses. Jesus verkündet den Anbruch und die Nähe von Gottes Herrschaft. Er spricht in seinen Heilungen, seinen Seligpreisungen dieses Reich gerade den Bedrängten und Verstörten zu. Er weicht den Konflikten nicht aus und geht einen Passionsweg, der mit dem Tod am Kreuz endet. Dieser getötete Jesus kehrt nicht ins irdische Leben zurück. Er ist von den Toten auferstanden; das meint anderes als die Rückkehr in ein zeitliches Dasein. Der Auferstandene erweist sich als gegenwärtig und wirklich aus Gottes Leben. „Der Gekreuzigte lebt für immer bei Gott – als Verpflichtung und Hoffnung für uns!“ (H. Küng, Ewiges Leben? 140). So wird Ostern zur Quelle christlicher Hoffnungsbotschaft. „Christi Auferstehung ist für mich das Zentrum nicht nur der Ostergeschichte, vielmehr konzentrieren sich in ihr alle biblischen Texte zur Frohen Botschaft“ (Gabriele Wohmann, Eine gewisse Zuversicht, 2012, 157). An Christi Auferstehung orientiert sich alles, was mit ‚Auferstehung der Toten’ für die Gemeinde Christi gemeint sein kann. Schon das Glaubensbekenntnis als verdichteter Glaube öffnet die Einzelaussagen zu neuen Sinneinheiten.
Neue Verstehensansätze
Dennoch muss radikaler gefragt werden: Lässt sich eine solche Tod-Übersteigende Hoffnung heute mit vollziehen? Können die antiken Formulierungen des Bekenntnisses noch die Hoffnung in Moderne und Postmoderne leiten? Gewiss, schon in der Welt Homers und der epikureischen Richtung war das volle Leben auf das Diesseits zwischen Geburt und Tod beschränkt. Die Überzeugung einer Unsterblichkeit der Seele, wie sie die platonische Philosophie entwickelte, teilten vielleicht eher Minderheiten. Schon die frühchristliche Verkündigung traf auf Widerstand und Missverständnis. Und doch inspirierte der Christusglaube mit seiner Hoffnungsdynamik viele Generationen.
Kein Verlangen nach ewigem Leben
Inzwischen hat eine andere Epoche begonnen. Die Beschränkung auf das hiesige Leben zwischen Geburt und Tod hat sich in Europa, spätestens seit der Renaissance und der Aufklärung, in immer neuen Wellen ausgeprägt. Heute ist sie noch viel selbstverständlicher präsent in einem verbreiteten (nach-)religiösen Lebensgefühl. Die neuzeitliche Hinwendung zu den Schönheiten und Aufgaben dieser Erde, der Kampf gegen soziales und psychisches Elend drängt, im Bewusstsein vieler, alle Jenseits-Orientierungen zurück. Die Überlebenden der Tsunami- Katastrophen und Erdbeben brauchen zunächst nichts als diesseitige Hoffnung. So gilt auch von der Hoffnung, was Bonhoeffer im Mai 1944 von allen großen christlichen Worten niedergeschrieben hat: „… wir selbst sind wieder ganz auf die Anfänge des Verstehens zurückgeworfen“ (Widerstand und Ergebung, 1977, 327).
Im Europa von heute fällt zusätzlich die enorm gestiegene zeitliche Lebenserwartung ins Gewicht: hier gilt das Verlangen nach ewigem Leben als unnötig, vielleicht als undankbar. Ist es nicht Glück genug, die geschenkten Jahre mit sinnvollen Aufgaben und menschlichen Beziehungen zu erfüllen? Dann beruhigt es am Ende, zu wissen, dass man ‚alt und lebenssatt’ von diesem Dasein einmal abtreten darf. Was quälen kann, ist eher das insbesondere durch die moderne Medizin verlängerte, unabsehbare Sterben, aber nicht der Tod und ein Danach. Die Hoffnung richtet sich eher auf einen gnädigen Abschied von dieser Erde, ohne körperliches, geistiges Siechtum, ohne andere durch eigene Gebrechlichkeit zu überfordern. Und niemand will zu einem Endgericht auferstehen (und jetzt schon Angst davor haben), in dem das eigene Bestehen höchst ungewiss ist.
Neu nach christlicher Hoffnung fragen
So ist neu zu fragen: wie kann die urchristliche Hoffnungs-Weite heute noch nachvollziehbar werden und für das Leben in der Gegenwart fruchtbar gemacht werden? An welche Interessen und Erwartungen kann sie anknüpfen, ohne dass Christen sich einem Wunsch-Egoismus überlassen?
Was die Hoffnung herausfordert, sind die schmerzhaften Abschiede und Verluste, die uns ereilen. Marie Luise Kaschnitz schrieb ihre Hoffnungs-Meditationen nach dem Tod ihres Mannes. Eltern, die ein Kind durch Krankheit oder einen Unfall verlieren, alle Opfer von Gewalt reißen die Frage auf: was können wir für sie hoffen?
Für die Liebe wirst du immer da sein
Die christliche Botschaft von der größeren Hoffnung knüpft an das Gebot der Liebe an. Lieben heißt einem Menschen sagen: du wirst immer da sein. Du wirst immer wichtig bleiben. Nicht nur die Lust, wie Nietzsche schrieb, auch die Liebe will Ewigkeit. Aber wir, selbst gebrechliche Menschen, können solche Ewigkeit der Liebe nicht verbürgen. Die Gewissheit, dass die Liebe soweit reicht, kann nur aus dem Glauben an den Gott kommen, der selber Liebe ist und in Christus daran teilhaben lässt. Die Hoffnung über die Todesgrenze hin aus wurzelt in der Zusage, die im 1. Johannesbrief so zusammengefasst wird: „Gott ist Liebe“ (1. Joh 4,16).
Die Hoffnung hat, mit der Liebe, immer auch einen Antrieb in der Sehnsucht nach Solidarität, nach Gerechtigkeit. „Selig sind, die hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit, denn sie sollen satt werden“ (Matthäus 5,6). Christliche Hoffnung nimmt das Verlangen nach Gerechtigkeit auf, hinein in eine größere Wirklichkeit. Gerechtigkeit gerade für alle, denen in diesem Leben Missachtung, Plage, Demütigung zuteil wird. Sollte das ein ewiges Schicksal bleiben? Gerechtigkeit für die Lebenden, Gerechtigkeit für die Toten, denen Recht auf dieser Erde nicht widerfahren ist. So verweist auch das Verlangen nach Gerechtigkeit auf den Gott, der in Jesus Christus zusagt, den Hunger nach Gerechtigkeit zu erfüllen. Wohl wird diese Leben schaffende Gerechtigkeit in Christus schon offenbart (Römer 1,17). Als soziale Wesen, die weder vollkommene Gerechtigkeit noch unverbrüchliche Liebe sichern können, bleiben wir auf die größere Hoffnung angewiesen, die über den Tod hinausreicht.
Aber auch wir selber, als Einzelne, mit unserer einzigartigen Geschichte von Gelingen und Misslingen, von großen Träumen und begrenzten Erfüllungen, können die Verheißungen der Bibel auf uns beziehen. Was bewirkt es, wenn wir (mit Paulus) unser hiesiges Leben und unser Wissen als ‚Stückwerk’ ansehen? (1. Kor 13,8). Alles „Stückwerk“ verweist die Glaubenden auf ein künftiges Ganzes. ‚Wenn aber kommen wird das Vollkommene, wird das Stückwerk aufhören’ (1. Kor 13,9). Darauf lässt sich hoffen.
Aber es geht nicht nur um ‚Stückwerk’, es geht um reales Scheitern: Zurückbleiben hinter Erwartungen, eigenen und anderen, die Schuldgeschichte, die jedes Leben durchzieht und bedroht. Hier entspringt die Suche nach einer Anerkennung, die allen eigenen Widersprüchen zum Trotz, ein wahrhaftiges und gnädiges Ja sagt zur eigenen Existenz. Gefragt ist umfassende Vergebung, letzte Rechtfertigung von Schuldigen und Sündern, die sich nicht auf eigenen Leistungen berufen können. Der Glaube ist offen für die Aussicht auf bedingungslose Annahme – in der Bibel als Gottes Gnade bezeichnet.
Wird aber so die Hoffnung und der Glaube nicht dem Verdacht einer infantilen, einer illusionären Wunscherfüllung ausgeliefert? Die Einwände von Philosophen (z.B. Ludwig Feuerbach) und Psychologen (z.B. Sigmund Freud) haben misstrauisch gemacht gegen die Anknüpfung an anthropologische Interessen. Eine kritische Überprüfung, eine Läuterung allzu ichbezogener Wünsche und Träume ist immer neu aufgetragen. Genau das geschieht in den biblischen Hoffnungsschriften: sie erweitern und hinterfragen, sie entgrenzen und verwandeln die mitgebrachten Erwartungen. Jesus selber nimmt die umlaufenden Jenseitserwartungen so auf, dass er sie korrigiert und zugleich übersteigt. Denen, die eine knifflige Frage nach der Heirat in der anderen Welt vorbringen, gibt er zur Antwort: „Ihr irrt, weil ihr weder die Schrift kennt noch die Kraft Gottes“ (Markus 12,24). Die allzu irdischen Bilder gehen ins Leere. Aber wie könnte der Gott, der sich den Verlorenen zuwendet, sie wieder ins Abseits des Todes fallen lassen? So entsteht mit dem Reich Gottes, mit der Lebensmacht des Auferstandenen eine neue große Erwartung: Es kommt noch MEHR und anderes. (s.a. Auferstehung im Text zu Jesus)
Dabei treffen wir auf eine Polarität, die sich bis zum Kontrast steigern kann.
Denn das ewige Leben, das Leben jenseits des Todes beginnt keineswegs erst nach dem eigenen körperlichen Sterben. Die „Ewigkeit“ des Glaubens an Gott kommt nicht erst nach der Zeit, sie wirkt in der Zeit, in die Zeit hinein. Das Reich Gottes ist schon mitten unter uns (Lukas 17,20). Mit Tod und Auferstehung Jesu hat eine neue Zeit begonnen. In Christus ist die Zeit der end-gültigen Gnade angebrochen (Römer 5). Mit dem Heiligen Geist wird schon ein Stück der erhofften Vollkommenheit Wirklichkeit: Es ergibt sich daraus Liebe, Friede, Freude, tatsächlicher Trost (wenn auch oft nur sehr unzureichend). Gerade die johanneischen Schriften legen ein großes Gewicht auf die Gegenwart ewigen Lebens. Sie verkündigen das Leben, das ewig ist, das beim Vater war und uns erschienen ist – also weitreichende Wurzeln hat und aus tiefen Quellen schöpfen kann (1 Joh 1,3). Das ist im Grunde schon neuzeitliches mehrdimensionales Denken. Auch die Metapher der „Wiedergeburt“ zeigt auf tiefere Dimensionen und Chancen, auf wertvolle Vorgaben und unbewusste Anlagen, in biblischer Sprache: Gott hat uns bereits „wiedergeboren zu einer lebendigen Hoffnung durch die Auferstehung Jesu Christi von den Toten“ (1. Petrus 1,3). Das bedeutet aber auch: christliche Hoffnung hat sich zu bewähren in einer Arbeit für das Diesseits, für das Jetzt und für das Morgen. „Und wenn morgen die Welt unterginge, so würde ich doch heute ein Apfelbäumchen pflanzen.“ Diese Luther zugeschriebene Sentenz bringt treffend die Verpflichtung zu den irdischen Aufgaben zum Ausdruck. Dietrich Bonhoeffer konnte gerade angesichts des drohenden Todes in der Haft 1944 „die tiefe Diesseitigkeit“ des christlichen Glaubens entdecken.
„Gibt es überhaupt eine Grenze zwischen Diesseits und Jenseits? Vielleicht ist der Tod nur ein Einschnitt für uns Menschen, aber kein Einschnitt in unserem Leben, keine Unterbrechung des Lebens. Es ist schwer, daran zu glauben. Weil wir uns nur vorstellen können, dass das Ende, das wir sehen, auch das Ende ist. Ein Ende, nach dem nichts mehr kommt, weil es nicht nur unsere Vorstellungskraft übersteigt, sondern auch unsere Kräfte.
Denn es stimmt doch: Einen Toten, der beerdigt ist, kann man nicht sehen. Man kann nicht mit ihm reden. Man kann ihn nicht berühren. Er ist weg. Er kann einem so sehr fehlen, dass es wehtut. Manchmal sind die Sterne so verdammt weit weg! Manchmal reicht es, dass ein Erinnerungsstück umfällt, um wieder sicher zu sein: Man schafft es nie.
Noch heute glauben viele, dass Jenseits und Diesseits verschiedene Welten seien, ohne Bezug zueinander. Als sei die Grenze zwischen Diesseits und Jenseits unüberwindbar. Viele glauben weder an ein Diesseits und Jenseits im Leben noch an ein Diesseits und Jenseits des Lebens“ (B. v.Weizsäcker).
Die christliche Hoffnung ist aber keine „Vertröstung aufs Diesseits“ (Paul Zulehner). Der Apostel Paulus besteht darauf, dass das ewige Leben erst in der Gestalt der Hoffnung geschenkt ist. „Wir sind zwar gerettet, doch auf Hoffnung (Römer 8,26). Das ‚Schon’ einer Gegenwart des wahren Lebens („Heil“) lässt sich nicht trennen von einem realen ‚Noch nicht’. Das gegenwärtige ‚Jenseits’ bedarf der Erfüllung in einem kommenden ‚Jenseits’. So hält Luther, aller Bejahung des irdischen Lebens zum Trotz, die Hoffnung auf „den lieben Jüngsten Tag“ ungeschmälert fest. In seinem „Sermon von der Bereitung zum Sterben“ vergleicht er das Sterben mit einer neuen Geburt. „… es gehet hie zu, gleichwie ein Kind aus der kleinen Wohnung seiner Mutter Leib mit Gefahren und Ängsten geboren wird in diesen weiten Himmel und Erden, das ist auf diese Welt. Also im Sterben auch muss man sich der Angst erwehren und wissen, dass darnach ein großer Raum und Freud sein wird“ (Münchner Ausgabe, 1, 356 f.). Diese Geburtsschmerzen können auch allen Glaubenden im Sterben noch bevorstehen. Wer Sterbende begleitet, wird dieser Erfahrung immer neu begegnen. Die große Hoffnung widersteht einer Verdrängung des Todes.
Bilder des Kommenden
„Auferstehung der Toten und das ewige Leben“. Wie dieses Jenseits des Todes vorzustellen ist, darüber sind undurchdringliche Schleier gebreitet. „Glauben Sie fragte man mich/ An ein Leben nach dem Tode/ Und ich antwortete :ja/ Aber dann wusste ich/ Keine Auskunft zu geben/ Wie das aussehen sollte/ Wie ich selber/ Aussehe/ Dort…“ (Marie Luise Kaschnitz, Ein Leben nach dem Tode) Auch die vielen Hoffnungsbilder des Neuen Testaments können diese Undeutlichkeit nicht zur eindeutigen Klarheit bringen.“ Wir sehen jetzt durch einen Spiegel ein dunkles Bild“ (1. Kor 13,12). Auch die Erfahrung mit Sterbenden enthält keine allgemein gültige Wahrheit. Anderseits: „Anders als in Bildern lassen sich die Inhalte der Hoffnung gar nicht in Worte fassen, denn es wird unter den Bedingungen des Anschaulichen in Raum und Zeit von dem gesprochen, was diese Anschaulichkeit bei weitem übersteigt“ (Marie Luise Kaschnitz, Unsere Hoffnung auf das ewige Leben, 2006, 108). (Im Grunde ist das ähnlich wie bei der Rede von Gott.)
Diese Undeutlichkeit kann zu einer freudlosen Resignation führen. Dagegen kann die Frage des Glaubens helfen: Warum sollte uns die Liebe Gottes, die uns in Christus begegnet, am Ende ärmlicher und geringer sein als jetzt? Er will uns ja mit ihm alles schenken (Römer 8,32). Wohl verzichtet das Neue Testament auf breite Jenseits-Gemälde. Aber es lässt Gläubige auch nicht in eine ‚Nacht der Bildlosigkeit’ versinken. Ähnlich wie Jesus in einer Vielzahl von Gleichnissen vom unvorstellbaren Gottesreich redet, so können wir auch eine Vielzahl von Jenseits-Gleichnissen entdecken. Das Gleiche gilt für die religiöse Kunst, insbesondere im Barock. Die Wahrheit der erfüllten Hoffnung begegnet uns in einer poetischen und künstlerischen Sprache. Sie ist darum nicht weniger wesentlich wie die reflektierte Sprache.
Einerseits treffen wir auf Schöpfungs-Bilder, auf Bilder der „neuen Erde“, eines neuen, anderen Lebens.
Wir erfahren von der großen Lebens-Ernte. (Markus 4,29)
„Heute noch wirst du mit mir im Paradiese sein.“ (Lukas 23,43)
Ein Strom lebendigen Wassers wird die Lebens-Bäume tränken. (Offenbarung 22,1-2)
Es fehlt aber auch nicht an sozialen Bildern, die die Erfüllung in einem neuen Gemeinwesen, in einer erlösten Kommunikation mit anderen anvisieren. Darin führt das ewige Leben in das himmlische Gemeinwesen und ist bergende Heimat (Philipper 3,21). Am Ziel kommen wir in die Ruhe des „Sabbat“ und in das Miteinander gemeinsamen Lobes. Vom neuen Jerusalem ist die Rede, von der himmlischen Gottesstadt (Hebräer 12,22). Dem entspricht die Schau eines Fest- und Freudenmahls (Lukas 14), bei dem alle Fülle, Freude und Genüge finden werden. Diese Bilder haben in der langen Geschichte der Kirche viele Gläubige erfreut und erfüllt. Ihre Vielfalt lässt durchaus Freiheit auch für eine persönliche Sprache, vielleicht auch für neue eigene Sprachbilder. Angesichts der Tatsache, dass viele der früheren Metaphern und Bilder in der heutigen Vorstellungswelt kaum noch vorkommen, erscheint die (Er-)Findung neuer grenzüberschreitender Vergleiche und Analogien sogar als notwendig.
Die Identitäts-Bilder persönlicher Vollendung sind charakteristisch für die Sprache der Hoffnung. Einen neuen Himmel und eine neue Erde erwarten, vernichtet keineswegs die Hoffnung für das eigene Leben. Auch die individuellen Bilder sperren sich gegen ein gegenständlich-buchstäbliches Verständnis. Wohl wird es in der Erfüllung um eine „Identität“ der Personen gehen, aber doch über eine radikale „Wandlung“ hindurch, die Paulus in 1. Korinther 15 umkreist, wenn er von einem „geistlichen Leib“ spricht und betont: „wir werden aber alle verwandelt werden“ (1. Kor,44.51).
Bedeutsam erscheint: die Gleichnisse aus der Natur und aus dem sozialen Miteinander sind eng verbunden mit der Erfüllung in Gottes Leben selber. Die Sehnsucht des Gebets „Wann werde ich dahin kommen, dass ich Gottes Angesicht schaue?“ (Psalm 42, 3) wird gestillt werden. Die Seligpreisung der Herzens-Reinen weist darauf hin: „Selig sind, die reinen Herzens sind; denn sie werden Gott schauen“ (Matthäus 5,8). Den schauen, an den wir irdisch nur glauben können; seiner Fülle begegnen, die wir (wenn überhaupt, dann nur) im Glauben erfahren. „Gott allein genügt“ (Dios basta): so Teresa von Avila.
Diese Konzentration auf Gott selber als Erfüllungsziel aller Hoffnung begegnet zugleich als Aussage in Bezug auf Christus. Paulus fasst diese Hoffnung im ersten Brief nach Thessalonike einfach (bildhaft räumlich) so zusammen: „und so werden wir bei dem Herrn (dem Herrn und Kyrios Jesus) sein“ (1. Thessalonicher 4,17). Noch im späten Philipperbrief bleibt sein Hoffnungsziel „bei Christus zu sein“ (Philipper 1,23). Diese elementare Hoffnung, die alle Sehnsucht in die Gottes- und Christusgemeinschaft münden lässt, bewahrt vor allzu irdischen und sinnlichen Hoffnungsinhalten. Die sozialen und naturhaften Bilder halten indessen fest, dass auch Christen nicht „allzu übersinnlich“ hoffen brauchen, und der neue Himmel zusammengehört mit einer neuen Erde, so unvorstellbar uns diese Zukunft bleiben mag (Küng, Ewiges Leben, 1981, 277).
‚Ich lasse mich überraschen’. Mit dieser Kurzformel hat mancher Christ seine Hoffnung zusammengefasst. Und auf ein Minimum zurückgenommen. Christlicher Glaube ist auch denen möglich, die keine Hoffnungen auf ein wie immer geartetes Jenseits haben – aber aus ihrem Glauben Offenheit für größere Wirklichkeit und Transzendenz im realen Leben erhalten (etwa beim sozialen Engagement oder beim Kampf gegen Hunger und Krankheit – und im Alter). Die einzelnen Hoffnungsinhalte sind im Wesentlichen analog verwandt und brauchen nicht gegeneinander ausgespielt zu werden, sondern können sich vielmehr ergänzen und befruchten. Keine Kirche kann ihren Mitgliedern vorschreiben, was am Ende des Lebens zu hoffen ist und was nicht.
Christlich hoffen heißt jedenfalls auch darauf vertrauen, dass uns am Ende keine böse Überraschung erwartet. Auch nicht einfach – NICHTS. Viele Christen rechnen mit einer freudigen Überraschung, die alle kühnsten Erwartungen übertrifft. Der Theologe Jörg Zink glaubt: „Was wir Tod nennen, ist die Rückseite einer ganz anderen Art von Leben, und wir werden beim Überschritt dort hinüber mit einer uns hier nicht vorstellbaren Klarheit uns selbst und die größere Welt zu Gesicht bekommen…hinein in ein von Gottes Geist erfülltes Dasein ohne Raum und Zeit. Was uns tragen wird, wird der Wind sein, den wir den Geist Gottes nennen“ (Ufergedanken, 2007, 145).