1. Warum Kern-“Fragen”?
Wir sind unsicher geworden.
In den protestantischen Kirchen Europas, zumal in Deutschland breitet sich Unsicherheit aus, wie man der schwindenden Bindung ihrer Mitglieder an die Organisation und ihrer Verkündigung begegnen kann.
Auch das Verständnis des Glaubens ist unsicher geworden. Selbst Aussagen im Glaubensbekenntnis zu Gott und über den Heiligen Geist werden nicht mehr voll bejaht. Erkenntnisse der Naturwissenschaften lassen manches früher für selbstverständlich Gehaltene als fraglich und überholt erscheinen.
Vieles erscheint aber auch in einem neuen Licht. Es lohnt sich, Fragen zu stellen, auch wenn nicht gleich und nicht leicht Antworten zu finden sind. Neue Ansätze in der Theologie sind überraschend und weiterführend. Sie sind nicht nur in der Spanne zwischen säkularisiertem Denken und Fundamentalismus zu finden. Auch auf individueller Ebene kann ergebnisoffen nach dem Grund des Glaubens gefragt werden.
Wir stellen keine neuen „Kernsätze des Glaubens“ auf, sondern wir fragen nach neuen Möglichkeiten zu glauben, tun dies gerne miteinander und auch zusammen mit anderen Interessierten. Unser Glaube an Gott und unsere „Gottesbilder“ müssen nicht in negativer Theologie enden. Neue Gottesbilder korrespondieren mit dem, was wir über die Welt wissen können.
Fragen aus Ausgangspunkt
Wir sind unsicher geworden.
In den protestantischen Kirchen Europas, zumal in Deutschland breitet sich Unsicherheit aus, wie man der schwindenden Bindung ihrer Mitglieder an die Organisation und ihrer Verkündigung begegnen kann.
Diese Schwächung ist nicht nur „gefühlt“, sie schlägt sich in Austrittszahlen und nachlassenden Gottesdienstbesuchen nieder, obwohl die immer wieder genannten Gründe für die ganz ähnlichen Probleme der katholischen Kirche, Priestermangel, Frauenordination, Zölibat, den Protestanten nicht zu schaffen machen.
Unsicherheit spüren wir aber auch selber, die wir der Kirche noch nahestehen und wir erfahren sie in Gesprächen, was unseren Glauben und sein Bekenntnis angeht.
Wer ist das, der Drei-eine Gott, den wir bekennen? Wer ist das, sein Sohn, dessen Tod und Auferstehung uns von Sünden lossprechen und das ewige Leben verheißen sollen?
Uns, die wir das Wort „Sünde“ vielfach gar nicht mehr im Munde führen, geschweige denn, dass wir uns unsere Fehltritte als Sünde zurechnen (weswegen wir wohl auch nicht mehr zwischen Schuld und schicksalhaftem Unglück zu unterscheiden vermögen).
Uns, denen die Sterblichkeit als unausweichliches Los alles Lebendigen bewusst ist, selbst wenn wir sie zeitlebens verdrängen wollen.
Wo finden wir ihn, den Heiligen Geist? Heute, in den Beschleunigerkathedralen der Physiker, wenn diese das „Gottesteilchen“ als „missing link“ einer durch und durch als materiell verstandenen Welt aufspüren?
Wir sprechen das apostolische Glaubensbekenntnis im Gottesdienst, allsonntäglich oder bei besonderen Anlässen. Aber nicht wenige fragen sich, ob sie dabei nicht einem Missverständnis erliegen. Weil in ihren Köpfen eine andere Vorstellung Platz gegriffen hat als die von einer Welt, geteilt in eine Unterwelt, das Reich des Todes; die Erde, auf der sich das Leben abspielt; den Himmel dort oben, der verheißen ist, wenn wir das Gericht bestanden haben. Welches Gericht denn? Von welchen unterirdischen und überirdischen Orten ist die Rede? Gott, der Schöpfer der Welt, das kann plausibel klingen, weil man da auch an den „Urknall“ denken kann als den Schöpfungsakt. Aber auch als der allmächtige Vater wird er angesprochen. Und sofort steht das Bild vom hoheitsvollen Alten mit weißem Bart vor Augen, der in wallendem Gewand auf der Wolke thront. Gott wie ein überaus erhabener Mensch, nur viel älter als jedes Menschenalter, ewig sogar, und von unermesslicher Macht. Ein majestätischer Herrscher auch, für den wir nicht nur Kinder, sondern zugleich Untertanen sind.
Diese Bilder können wir nicht ohne weiteres zusammen sehen und zusammen denken mit dem, was wir, meist nur ganz unvollkommen verstanden, aber jedenfalls begründet in einem rationalen Zusammenhang und beglaubigt durch die technische Bewältigung unserer Lebenswelt, als das „naturwissenschaftliche Weltbild der Moderne“ verinnerlicht haben.
Diagnosen werden gestellt. Eine davon vermutet, gerade das unzeitgemäße Bekennen des Apostolikums habe die Verkündigung infiziert und verursache die Glaubensverflüchtigung. Konziliar-theologischer Tradition entsprungen, wird es augenscheinlich dem modernen Weltverständnis nicht mehr gerecht, aber auch nicht dem biblischen Gottesverständnis.
Selbst diese bibelfundierte Gottesverkündigung ist aber nach dieser Überzeugung defizitär, weil in Mythen und Bildern sprechend, die, so die Behauptung, nicht mehr die unseren sein können.
Was könnte näher liegen, als mit dem Theologen Matthias Kroeger einen „Ruck in den Köpfen“ des kirchlichen Personals, der Kirchenleitungen und ihrer Pfarrerinnen und Pfarrer zu fordern, damit die neuen Theologien Platz greifen können, die seit dem Aufbruch in die historisch-kritische und liberale Theologie seit dem 19. Jahrhundert von den gelehrtesten Köpfen des europäischen Protestantismus entwickelt wurden?
Glaubensinhalte den neuen Erkenntnissen anpassen?
Öffnet sich damit nicht der Weg, die Glaubensinhalte und Glaubensformeln den neuen Erkenntnissen der Naturwissenschaft und ihrem Weltbild anzupassen?
Oder müssen wir uns damit abfinden, dass der Diskurs zwischen Naturwissenschaft und Religion , wenn er nicht schon als entschieden gelten kann, nur noch als Konfrontation eines fundamentalistischen Naturalismus der modernen Wissenschaften mit einer mehr oder weniger dogmatisch-unzeitgemäßen Religiosität und ihrem überholten Weltbild ausgetragen werden kann? Eine Auseinandersetzung, die bei fortschreitender Säkularisierung des Denkens mit dem Verschwinden jeglichen Glaubens an eine Sphäre des Göttlichen enden müsste.
Einen Ausweg sucht, wer eine relativierende Koexistenz der Weltauffassungen vor Augen sieht, ein friedliches oder auch gleichgültig-gleichwertiges Nebeneinander von mehr oder weniger individuellen Glaubensüberzeugungen vom Göttlichen und Numinosen einerseits, überindividuell überprüfbaren Wirklichkeitsaussagen im Rahmen wissenschaftlicher Methodik andrerseits. Es scheint, dass dieser Sichtweise einer neutralen Koexistenz gerade der Theologe und „Weltethiker“ Hans Küng zuneigt, der sich auch in naturwissenschaftlichen Fragen als beschlagen zeigt, der aber dem Versuch einer „Synthese der Erkenntniswege“ letzten Endes eine Absage erteilt.
Eine eingehende Beschäftigung des Arbeitskreises mit den neuen Veröffentlichungen Küngs ergab kein einstimmiges Votum für diese Position, auch wenn die Tendenz zu spüren war, sie als wichtiges Ergebnis (festzuschreiben) in die eigenen Überlegungen einzubeziehen. Sie könnte für die verfassten Kirchen tatsächlich eine Option sein, die vielen bereits Distanzierten wieder enger an sich zu binden, ohne dass zu viel an theologisch-traditionellem Bestand geopfert werden muss.
Kein Widerspruch zwischen Glauben und Naturwissenschaft?
Kann man behaupten, wie wir die Welt im Glauben erkennen, kann überhaupt nicht in Widerspruch geraten zu dem, was die Naturwissenschaft darüber zu sagen hat? Auf jeden Fall müsste das, ehrlicherweise, einer agnostische Haltung der Naturwissenschaftler entsprechen. Deren methodische Selbstbeschränkung führt notwendig zur Ausgrenzung des nicht überindividuell Überprüfbaren, des „Glaubensmäßigen“, als nichtwissenschaftlich, wenn nicht als irrelevant oder falsch. Dass es zwischen Naturwissenschaft als dem „Bereich des Wissens“ und der Religion als dem „Bereich des Glaubens“ keinen Widerspruch geben kann, wäre also eine Feststellung, die man zuallererst von den Naturwissenschaftlern erwarten müsste.
Stattdessen wird, ungeachtet der Grundlagenproblematik ihrer Welterklärungsmodelle, insbesondere der physikalischen, von einer atheistischen Fraktion unter den Naturwissenschaftlern, der aggressive Anspruch auf Monopolisierung der Welterkenntnis erhoben. Fragen wir, welche Wirklichkeit wir mit ihrer Methodik erkennen, so tritt zutage, dass es keineswegs um die ganze uns existentiell berührende Wirklichkeit gehen kann, und dass selbst das naturalistisch-materialistisch gedeutete Wirklichkeitsfragment, das sie bearbeiten, noch so große Lücken aufweist, dass ihre Schließung auch bei größtem Forschungsaufwand unwahrscheinlich erscheint. Damit lassen sich keine Denkverbote aussprechen.
Das lässt nicht den Umkehrschluss zu, naturwissenschaftliche Welterkenntnis sei ihrerseits für die Frage nach Gott in der Welt irrelevant. Die Vermutung bleibt begründet, dass die Naturwissenschaft zwar keineswegs das einzige Fenster ist, durch das wir auf die Wirklichkeit blicken können, sondern dass andere Fenster, wie das des Glaubens, durchaus sinnhafte Einblicke öffnen können.
Einige Entdeckungen der Naturwissenschaften legen geradezu nahe, dass in ihnen eine Begegnung mit dem Göttlichen stattfindet. Schon in den kreativen Möglichkeiten des sich evolutionär entfaltenden Universums kann sich für den Glauben die Anwesenheit dessen spiegeln, der es erschaffen hat und der seit Anbeginn der Zeit mit ihm ist.
Zweifel an Aussagen biblischen und christlichen Glaubens, die das schlechthin „Wunderbare“ zu behaupten scheinen, so auch die Möglichkeit einer Auferstehung von den Toten, gab es schon in frühen, vormodernen Zeiten, die ebenso wie wir um die Grundbefindlichkeiten unserer irdischen Existenz wussten. Diese Zweifel mussten nicht erst von den Naturwissenschaften aufgebracht und genährt werden. Diese ergriff im Verein mit der Aufklärung allerdings Partei gegen einen kirchlich-religiösen Dogmatismus, der dem Wunder im Namen Gottes die Dignität der Welterklärung zusprechen wollte.
Der sicher von sonntäglichen Erfahrungen gestützte Vorwurf, unsere Kirche nehme neue theologische Vorstellungen nicht ernst genug, die manchen Anstoß an traditionell-religiösen Formen der Welterklärung beseitigen könnten, scheint überzogen. Ihre Pfarrerinnen und Pfarrer sind, ausweislich ebenfalls praktischer Erfahrungen in Gottesdiensten und Bibelarbeiten, durchaus willig und fähig, neue theologische Einsichten den Glaubensunwilligen nahezubringen. Sie nutzen ihre theologische Ausbildung in Predigten und bei der Ausgestaltung der Liturgie, für Freiheiten einer Verkündigung, die auch neue theologische Inhalte vermittelt. Allein auf Grund dieser Ausbildung ist es ihnen gar nicht mehr möglich, in der Sprache „überholter“ Theologien zu reden. Und dass ihre Zuhörer ein von der Moderne geprägtes Weltbild haben wie sie selber, muss man ihnen nicht erst erzählen. Müssen hier offene Türen eingerannt werden?
Geflissentlich übersieht man aber auch die Unkenntnis und die Lernunwilligkeit in den Gemeinden für das theologisch Neue, für das eine gläubige Spiritualität nicht oberstes Anliegen ist, Sie stehen der manifesten Unkenntnis naturwissenschaftlichen Wissens kaum nach. Als Seelsorger wissen die Pfarrerinnen und Pfarrer – und die Kirche tut gut daran, sie darin anzuleiten und zu bestärken – dass sie die Menschen nicht mit dem Neuen überrumpeln dürfen. Diese wollen das, was sie für ihren Glauben halten, nicht ohne weiteres gegen Lehrmeinungen vom Hochschulkatheder eintauschen.
Ohnehin hat sich unsere Kirche längst eine Verkündigungsdiät für die Gläubigen zu eigen gemacht. Das extrem Anstößige in den biblischen Schriften wird heute niemand mehr zugemutet, der es nicht in seiner privaten Bibellektüre aufsuchen will. Auch das ganz und gar Antiquierte hat im Gottesdienst keinen Platz mehr. Was keinen auch im weitesten Sinn für uns relevanten „Glaubensinhalt“ transportiert, findet in der gottesdienstlichen Agenda einfach nicht statt und niemand wird für verpflichtet gehalten, es aufzusuchen.
Aber natürlich werden von der Kanzel noch Dinge verkündet, von denen der Pfarrer/die Pfarrerin weiß, dass sie für jeden vernünftigen Menschen heute nur noch Legenden bedeuten können. Dass man sie wortwörtlich glauben soll, wird er/sie nicht mehr verlangen, selbst wenn sich das mancher Zuhörer selbst suggerieren mag. Manche mögen wegen einer für sie unglaubwürdigen Verkündigung den Gottesdiensten fernbleiben, viele aber tun dies aus Gleichgültigkeit dieser oder jeder anderen Verkündigung gegenüber. Anders herum sagt sich mancher Pfarrer/manche Pfarrerin wohl, dass es ganz in Ordnung ist, wenn schlichtere Gemüter manches glauben, was er/sie selber besser weiß.
Eine andere Diagnose stellt der „Säkularisierung des Denkens“ in unseren Breiten, die unter Protestanten, aber auch unter Katholiken, um sich greift, die Zunahme einer, wenn auch eher diffusen Spiritualität gegenüber. Ihr versuchen vielfältige Angebote nachzukommen.
So ist die sogenannte Esoterik zu einem Sammelbecken geworden, in dem das Dümmste neben dem Ehrwürdigen, neben den echten spirituellen Traditionen der Welt, zu finden ist.
Der von den offensichtlichen Symptomen ausgelösten Besorgnis um die Zukunft europäischer Volkskirchen ist freilich das Phänomen christlicher Missionierung entgegenzuhalten. Als evangelikale Verkündigung im weitesten Sinn beherrscht sie Nordamerika, und breitet sich in Südamerika und im nichtmuslimischen Afrika und selbst im andersreligiösen Asien aus, ganz im Gegensatz zu unseren Erfahrungen. In diesen Weltteilen scheint der religiöse Eifer gerade in Gestalt der „reformiert“-protestantischen Bekenntnisse einen enormen Aufschwung zu erfahren. Und das nicht nur mittels einer frei flottierenden „pfingstlerischen“ Spiritualität, sondern auch in der strikt traditionellen schrift- und offenbarungsgläubigen Form, die wir fundamentalistisch nennen.
Statt Konfrontation und Koexistenz: Synthese
Eines der wichtigsten Kennzeichen der Diskussion im Arbeitskreis war es, solchen Diagnosen den Versuch an die Seite zu stellen, sich nicht mit den Alternativen der Konfrontation oder der Koexistenz von Religion und Naturwissenschaft zu begnügen oder gar eine fundamentalistische Regression für denkbar oder geboten zu halten, sondern nach der Möglichkeit des Brückenschlags, einer Synthese zwischen naturwissenschaftlicher Erkenntnisweise und christlicher Glaubenserkenntnis zu fragen. Wir stellen keine neuen „Kernsätze des Glaubens“ auf, sondern wir fragen nach neuen Möglichkeiten zu glauben, und tun dies gerne miteinander und auch zusammen mit anderen Interessierten.
Wir haben uns der Frage gestellt, ob unser Glaube an Gott und unsere „Gottesbilder“ es überhaupt zulassen, in negativer Theologie zu enden, oder dies sogar von uns fordern.
Beharren wir darauf,
- Gott habe als Schöpfer in ganz eindeutiger Weise mit der Konstitution seiner Welt zu tun,
- sei in ganz bestimmter Weise in ihr anwesend
- und unterhalte sogar – und nach biblischer Lesart ganz bestimmt – eine aktive Beziehung zu ihr,
- nicht nur als der beständig Anwesende von Ewigkeit zu Ewigkeit,
- sondern in sorgender Liebe, mit einem auf Vollendung gerichteten Heilsplan,
- so wie es dem christlichen Glaubensbekenntnis entspricht,
kommen wir zu einem anderen Schluss. Wir müssen unseren Gottesbildern eine Bedeutung geben, die mit dem korrespondiert, was wir über die Welt wissen können. Die Physik als herausragende Vertreterin der Naturwissenschaften, stellt uns seit dem Beginn des 20.Jahrhunderts in ihren Großtheorien ein tief problematisches Bild der Welt vor Augen.
Folgen wir seiner Entwicklung bis heute, so lässt es unser Wissen von der Welt als ein ebenso großes Geheimnis erscheinen wie unser Bild von Gott.
Mehr dazu in dem Beitrag Religion und Naturwissenschaft im Licht der modernen Physik.