Beteiligen Sie sich an unserem Diskussionsprojekt!
Header

Gott als “Kraft”

Gott wird auch oft als Kraft erlebt, erfahren und benannt. Das kann das verbreitete Gottesverständnis als Person ergänzen und erweitern.

Nach M. Kroeger ist Gott „eine Kraft, die schafft, beschenkt, fordert, vernichtet, zu der anbetendes In-Beziehung-Treten ohne Festlegung auf wie auch immer geartete theologische oder philosophische Begriffe möglich und lebensdienlich ist.

Wolfgang Osterhage zeigt in seinem Buch „Chaos. Ordnung, Harmonie. Bilder der Wissenschaft – Bilder des Glaubens“ (Fromm Verlag 2012), dass und wie auch mit Begriffen aus der Physik von Gott gesprochen werden kann.

Gottes Wirken in der Welt – als Kraft auch in den Schwachen

In dem Roman „Die Brüder Karamasoff” von Dostojewski äußert sich der Mönch Pater Paissij der Hauptfigur in dieser Geschichte zur Moderne gegenüber mit folgenden Worten:

„Jüngling, denke daran, dass die weltliche Wissenschaft, die zu einer großen Macht wurde, im letzten Jahrhundert alles niedergerissen hat, was uns an Himmlischem in den Büchern der Heiligen vermacht worden ist. Nach einer genauen Analyse scheint bei den Gelehrten dieser Welt vom ganzen frühen Heiligtum überhaupt nichts übriggeblieben zu sein; der Geist des Ganzen ist ihnen entgangen.”

Das Gesagte bezieht sich auf das 19. Jahrhundert! – Daraus spricht wohl die Angst eines gläubigen Menschen davor, von der Moderne überrollt und seines Glaubens dadurch verlustig zu werden. Daraus spricht auch das auch heute noch gängige Klischee von Gegensatz und Wettbewerb zwischen Glaube und Wissenschaft, jenen beiden akzeptierten Erkenntniswegen, die dem Menschen offen stehen. Es gibt aber doch mehr Gemeinsamkeit auf diesen beiden Wegen zur Erkenntnis, als gemeinhin angenommen wird.

Der Begriff der Kraft repräsentiert eine Chiffre. Er ist mystischen Ursprungs und hat diese Aura bis heute bewahrt, sowohl in der Religion als auch in der Wissenschaft. Wesentliches Kennzeichen ist das Attribut der Fernwirkung: eine Ursache macht über eine Distanz, dass an einem anderen, weiter entfernten Ort etwas geschieht. Eine solche Fernwirkung hat die Menschen von alters her fasziniert und dieses Wort „Kraft” damit bildhaft beladen.

Immer schon, seit die Wissenschaft den Begriff Kraft für sich vereinnahmt hat, hat selbige auch versucht, ihr den Mythos nehmen. Spätestens seit Newton, der die Gravitation formalisiert hat, ist sie zwar nicht sichtbar, aber durch solche Äquivalente wie Maß und Gesetzmäßigkeiten, wie Abnahme mit dem Quadrat Entfernung bildhafter geworden.

Heute unterscheidet man vier Kräfte in der Natur, aus der sich alles andere herleitet:

  • die Gravitationskraft,
  • die elektromagnetisch Kraft,
  • die schwache Wechselwirkung, und
  • die starke Wechselwirkung, die Atomkerne und Quarks zusammenhält.

Diese Kräfte sind unterschiedlich stark und wirken über unterschiedliche Entfernungen. Obwohl damit alle z. Zt. beobachteten Phänomene im Kosmos beschreibbar sind, ist den Forschern seit Generationen ein bohrender Rest von Unzufriedenheit geblieben. Diese Unzufriedenheit leitet sich einmal aus der Tatsache her, dass es vier Kräfte und nicht eine einzige Kraft gibt, zum anderen aus dem immer noch mitschwingenden mystischen Ursprung.

Es hat nicht an Versuchen gefehlt, dem Abhilfe zu schaffen – und zwar aus rein ästhetischen und nicht zwingend wissenschaftlichen Gründen. Die eine Richtung geht auf eine Vereinigungstheorie aller Kräfte hinaus, einer Aufgabe, der Einstein den größten Teil seines Lebens gewidmet hatte – ohne Erfolg. Die Vereinigung der elektromagnetischen mit der schwachen Wechselwirkung ist mittlerweile gelungen. Alle anderen noch nicht in einer verifizierbaren Form.

Die zweite Richtung zielte auf die Abschaffung der Kraft als solche zur Beschreibung von Naturphänomenen. Das ist Einstein in seiner Allgemeinen Relativitätstheorie geglückt: er setzte das Energieäquivalent auf der einen Seite der Gravitations­gleichung mit der dadurch verursachten Krümmung des Raumes – dem Rieman-Tensor – gleich. Kraft hatte sich erübrigt und war durch Geometrie ersetzt worden, der Mythos der Fernwirkung war endgültig gebrochen.

Auch die Christen bedienen sich des Bildes von der Kraft, um Wirkungen, die hier auf unserer Erde stattfinden, durch Ursachen, die in anderen Dimensionen liegen, zu beschreiben. Oder auch, um Wirkungen zwischen Menschen selbst zu beschreiben. Überall, wo eine Intervention Gottes in Vergangenheit oder Gegenwart geglaubt wird, wird auch seine Kraft evoziert – eine Kraft, die nicht nur über räumliche Distanz hinweg wirkt, sondern sogar durch die Zeit hindurch, bzw. aus der Transzendenz heraus: „Wie überschwänglich groß ist seine Kraft an uns, die wir glauben, weil die Macht seiner Stärke bei uns wirksam wurde”, schreibt der Apostel Paulus an die Epheser. Es läuft alles auf die eine große universale Wirksamkeit Gottes hinaus, auf die Kraft Gottes, die alles zusammenhält und alles bewegt: die Kraft, die schon ganz am Anfang wirksam war, und durch welche die Feste zwischen den Wassern errichtet wurde, das Chaos der Urflut zu bannen, damit ein Lebensraum für Schöpfung geschaffen werden konnte. Die Kraft der Liebe, durch die Christus gewirkt hat, und mit der er vom Tode erweckt wurde. Eine Kraft, die die Grenze zwischen Leben und Tod öffnen oder schließen kann.