Mein Glaube hat sich einerseits von innen heraus, sozusagen von selbst (allenfalls interessengesteuert) geändert; andererseits waren der Grund für Veränderungen Einflüsse von außen (neue Literatur, „andersgläubige“ Freunde und Freundinnen, Kollegen, Studenten; Fragen von „Evangelikalen“).
Ein verändertes Verständnis meines Glaubens entstand (natürlich?) in der Fortführung der historisch-kritischen Bibelinterpretation und in Anknüpfung an die sich vorsichtig über die Grenzen der traditionellen (lutherischen) Dogmatik hinaus sich öffnende theologische Diskussion, zum Beispiel zu Paul Tillich und Heinz Zahrnt. Zunehmend wirkte sich aber der Einfluss von sich entwickelnden Bereichen wie Systemtheorie, Kybernetik, Massenmedien und – Theorie und Methodik der kirchlichen Jugendarbeit, aus. Auch in der Unterhaltungsmusik („Schlager“) fand ich (als solches meistens unerkannt:) Religiöses.
Die Angst davor, sich auf etwas Verbotenes einzulassen, war stets dabei, obwohl keine kirchliche Disziplinierung erfolgte.
So kam es bei mir zu folgenden theologischen Fragestellungen und Ansätzen (die allerdings nur zum Teil veröffentlicht wurden):
- Unterstützt durch Hans-Dieter Bastians „Theologie der Frage“ war für mich nicht mehr die im Vordergrund stehende dogmatische Gewissheit möglich, sondern mir erschien die Frage die angemessenere Einstellung des (insbesondere Gottes-) Glaubens zu sein, also nach dem Hintergrund, dem Zusammenhang, der größeren Wirklichkeit zu fragen. Das brachte zwar Offenheit für vieles Neue, aber auch beträchtlichen Verlust an theologischer (Selbst-) Sicherheit. Und: Dauernd Aufträge, Herausforderungen, eigene In-Fragestellungen der eigenen Person.
- Weil über transzendente Inhalte des Glaubens (wie Gott) nichts ausreichend Bestimmtes erkannt und gesagt werden kann, fing ich damit an, nach den Wirkungen des Glaubens zu fragen: „Wie handelt man, wenn man euch glaubt?“, hat Bert Brecht gefragt. Wie wirkt sich der Glaube auf das Denken aus? Zwar gilt auch hier anlog: Wer sich in die Sonne legt wird braun. Es ergibt sich aber Entscheidungsspielraum dafür, ob ich das will oder nicht.
- Zugegeben bekommt das Glaubensverständnis dadurch etwas (zuviel?) Pragmatisches. Aber ich finde nichts Anstößiges dabei, auch beim Glauben nach der Lebensdienlichkeit zu fragen. De facto hat (auch) der christliche Glaube ungezählten Menschen praktisch beim Leben geholfen.
- Das habe ich dann, – sícher sehr unzulänglich – als Methode in der Form von Pro- und Contra-Argumenten auf Glaubensinhalte angewendet. Man muss natürlich auf Distanz zu manchen Selbstverständlichkeiten kirchlicher Lehre gehen, um Vor- und Nachteile (für wen?) mancher Glaubensinhalte abwägen zu können. Denn nach Meinung vieler Christen geht es beim Glauben nicht vorrangig um Lebenshilfe, sondern um Wahrheit.
- Mir ist aber die Erfahrung und Erkenntnis sehr wichtig, dass sich scheinbar einander widersprechende Glaubensweisen durchaus zusammen praktizieren lassen, und das von ein-und-derselben Person. Ob an Gott als größere Wirklichkeit geglaubt oder als Person zu ihm gebetet wird, ist für mich kein Entweder-Oder, (über das heftig – und noch heute z.T. gewalttätig – gestritten werden muss), sondern ein Sowohl-als-auch, das auch das Zusammenleben verschiedener Religionen und Konfessionen besser gelingen lässt. (Mystische Frömmigkeit ist offenbar schon weiter, mir aber praktisch nicht naheliegend).
- Als Beispiel können die neuen religiösen Lieder gelten: Sie schienen am Anfang ihres Entstehens überhaupt nicht zu den jahrhundertelang bewährten Chorälen zu passen. Heute stehen über 100 im Evangelischen Gesangbuch. Warum sollte das nicht auch mit neuen Glaubenssätzen so sein?
- Ich bin froh und dankbar dafür, dass sich im Verlauf dieser religiösen Entwicklung viele Möglichkeiten individueller Glaubensgestaltung eröffnet haben – aber auch von vielem Abschied genommen werden muss (wie K.P.Jörns in seinem gleichnamigen Buch schreibt und Udo Jürgens so traurig besingt.) Vieles aus der Tradition lässt sich nach heutigem Verständnis zufriedenstellend interpretieren und „übersetzen“, wenigstens als historische Entwicklungsstufe verständlich machen. Ich glaube (und erfahre), dass traditionell-konservativ Glaubende im Wesentlichen die gleiche Grundeinstellung haben als ihre für neues Glaubensverständnis offene Mitmenschen. (Vielleicht muss man mit G. Theißen die „Fundamentalisten“ ausnehmen).
- Bei der Arbeit an den drei veröffentlichten Stellungnahmen (zu Kroeger, Küng und Polkinghorne) und den „Kernfragen des christlichen Glaubens“ habe ich viel über Möglichkeiten und Probleme anderer als die bisher eigenen Glaubensvorstellungen gelernt (sie sind immer noch in großen Teilen ungeklärt). Ich weiß nicht, wie sich die weitere „Evolution des Glaubens“ entwickeln wird. Aber ich bin dankbar dafür, in meinem Alter (noch) dabei sein zu dürfen.