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Mein Glaube im Wandel

21. März 2013 | Erstellt von Peter Stolt Thema Persönliche Beiträge

„Glauben“. Dieses Geschehen. Wie kam ich dazu? Angeweht hat es mich. Als Pimpf, als ich unter Zigtausenden im Olympiastadion saß und nach der Führerrede „Deutschland, heiliges Wort, du voll Unendlichkeit“ sang. War das nur „Gläubigkeit“? Oder Präformation für Späteres?

Nach dem Zusammenbruch der Ideale bewegte mich ein Wind aus anderer Richtung: In der Gefangenschaft lernte ich Christen kennen. und eine Bibel bekam ich auch. Da erhielt „Glauben“ einen Inhalt, und unter langen Gesprächen überzeugte er mich. Samenkörner wurden eingestreut. Daraus wuchs ein Leben, sag ich mal: ein knorriger, alles andere als kerzengrader Baum. Ich bin auf ihm herumgestiegen, als Theologiestudent, als Pastor. Ich entdeckte immer Neues – in diesem geisterfüllten Gotteswort, in Gemeinschaft, in Zielen und Visionen. Ich entdeckte die Kirche als ein sonderbar verwachsenes Gebilde, aber mit erstaunlichen Kräften, die Tradition kritisch pflegten und sogar Reformation anzettelten. Ich zog eine wohl nicht sehr originelle Linie: vier Evangelisten samt Paulus, Augustin, Franziskus, Luther, Schleiermacher, Wichern, Bonhoeffer, Romano Guardini, Ernst Lange. Da hatte ich Theologie, geistliches Leben und praktisches Christentum – das bildete meinen Glauben. Mit der Gesangbuchpoetik und Kirchenmusik.

Vielleicht ist es der Vorteil eines Theologen, daß er lernte, wie so ein Glaubensbaum wächst. Ich konnte die Notwendigkeit von Dogmatik (Karl Barth) verstehen, versöhnte mich mit den Ergebnissen der historisch-kritischen Schule, guckte auf Gutes und Grausames der Kirchengeschichte. So formulierten wir schon 1965 für die Evangelische Jugend Hamburgs ein Glaubensbekenntnis als einen Brückentext in unsere Gegenwart

Ich glaube an Jesus von Nazareth
und gehöre zu ihm.
Er hat Gottes Liebe gelebt,
Er wurde deswegen gekreuzigt,
Gott aber hat ihn
vom Tod auferweckt
und darin ewige Freiheit begründet.
Er kann Schuld vergeben.
Mit ihm beginnt eine neue Welt
ohne Krieg und Hunger,
ohne Krankheit und Tod.
Er ist Christus, der Sohn Gottes.
Ich glaube an Gott,
mit dem mich Jesus verbindet.
Ihm verdanke ich mein Leben.
Ihm gehört der Kosmos.
Er lenkt die Geschichte.
Freude an der Schöpfung
und Mut zum Handeln
kommt von ihm.
Er ist unser aller Vater.
Ich glaube an den Heiligen Geist,
er ist Gottes Gegenwart.
Er lässt Grenzen überwinden.
Er gibt Erkenntnis der Wahrheit
Und schärft die Gewissen.
Er tröstet.
Er schafft Eine Kirche
für alle Menschen
bis zur Vollendung der Welt
in Gerechtigkeit.
Amen

Es ist im Wesentlichen immer noch gültig und brauchbar für mich. Die vorliegenden „Kernfragen des Glaubens“ lassen Änderungen erkennen, vor allem was die Verbindlichkeit und Gemeinsamkeit betrifft: Mehr Pluralität, aber nicht alles wird übernommen (auch nicht von dem, was an Neuem noch kommt).

Meine Berufsarbeit verstand ich oft als die eines Vermittlers. Ein Schriftgelehrter gleicht „einem Hausvater, der aus seinem Schatz Neues und Altes hervorholt“, steht in Mt 13,52. Die Kirche war das Haupt-Medium für meinen Glauben. Soweit, so gut.

Die Zeiten änderten sich. Das mit der Autorität des Pfarramtes ist seit fünfzig Jahren vorbei (sie hindert aber auch weniger). Die 68er zeugten eine neue Theologengeneration mit anderer Kirchensicht. Die Kirchensoziologie wertete Hergebrachtes um. Das brachte ungewohnte Herausforderungen im Gespräch mit Menschen, die nicht als „liebe Gemeinde“ zu denken, sondern jeder eine Person eigener Überzeugung und eigenen Glaubens waren.

Aber wie oft stieß ich auf diese Mauer, über die Freunde nicht hinweg kamen, wenn sie über Gott und die Welt nachdachten. Woanders ist es eine unüberwindliche Verhärtung des Denkens und Fühlens, wo der Zeitgeist den Zugang zum Religiösen verschüttet hatte. Ich konstatiere, dass unsere Kirche schwach ist auch in ihrer Kommunikationsfähigkeit. Was ist sie an Aufklärung und Bildung schuldig geblieben, wie kurz greifen unsere Medien! Umso wichtiger scheint mir auch das kleinste Bemühen, das christliche Licht leuchten zu lassen. Bei meinem Arzt liegt eine Bibel bei den Zeitschriften.

Ich meine, dass keiner all die individuellen Bekenntnisse bzw. Glaubensarten vereinheitlichen kann. Was man als „Gott“ versteht, wie man Jesus zuhört, wie man mit den uralten Formulierungen des Glaubensbekenntnisses umgeht, bleibt zumeist ein Geheimnis. Doch wie stark bleiben bei alledem unsere Gottesdienste als Band gemeinsamen Christseins. Wie oft oder selten Jung oder Alt zur Kirche gehen, ich denke, sie suchen dort seelische Heimat, einen Ort, wo mit ihnen und mit „Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung“ ehrlich umgegangen wird.

Noch eins: Ich merkte je länger, desto mehr, daß meine liebe Kirche ja gar keine Pastorenkirche ist, auch wenn es aus einem Blickwinkel so aussehen mag. Es arbeiteten ja noch andere in ihr, und sie waren oft einflussreicher. Ich denke jetzt nicht an Esoterik-Zauber und an das Marktangebot religiöser Ware. Nein, ich sehe mitten in der Kirche die Kunst und die Künstler als aktive Glieder unseres Allgemeinen Priestertums. Mit Bestärkung oder scharfer Bezweiflung prägen sie Glauben: Architekten mit den eindringlich redenden Kirchenräumen, Maler und Bildhauer mit „bildender Kunst“, Literaten und Poeten, Musiker und Sänger – Frauen und Männer von damals und von heute. Die vertiefen Einsichten, rühren zu Tränen und ermuntern zu Menschlichkeit. (Auch darauf konnten wir, wie auf so vieles andere, bei den „Kernfragen des Glaubens“ nicht eingehen).

Sonderbar empfand ich den Übergang zum „Altersglauben“. Tolerant zieht er sich auf Elementares zusammen, sucht Antworten auf tiefere, bisher nicht angefasste Geheimnisse und findet Bücher, deren Antworten wert sind, hin und her überlegt zu werden. Wenn einem dann ein Licht aufgeht, befriedigt das und tut dem Altern gut.

Es bleibt wenig noch zu wollen. Das erleichtert. Es gibt mehr zu tragen. Das fällt schwer. Also braucht der Ältere für seinen (wie ich für meinen) Glauben diversen Trost, Gesangbuchlieder, weniger Predigten, aber sehr das Sakrament. Und Gespräche mit denen, die man noch in der Nähe hat. Das ist eine Form von Dankbarkeit. Dankbarkeit auch nach oben. Nicht zuletzt dafür, daß ER mir hoffentlich vergeben wird all den Unsinn, den man sich und anderen angetan hat.

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