„Ich habe nun den Grund gefunden, der meinen Anker – (ganz gut) – hält“ – EKG 354 (das im Original stehende „ewig“ wäre für mich etwas zu vollmundig.)
Dieser Grund ist der (gottbegnadete) Mensch, Jesus von Nazareth – sein Leben, seine Botschaft und sein Sterben.
Der Mensch! Nicht der von späteren Jahrhunderten in den Himmel hinauf dogmatisierte, mythisierte Christus.
Jesus ist für mich ein gültiger Weg, ein Zugang zu „Gott“, dem unbegreiflichen und unfassbaren Geheimnis der Welt und unseres Lebens, von dem wir uns – seiner Unbegreiflichkeit wegen – kein „Bildnis“ machen sollen, – darum auch keine noch so gescheiten theologischen Begriffe oder Vorstellungen.
Jesus hat uns ermöglicht, er hat uns erlaubt, diese geheimnisvolle „Urkraft“ (Gott) als uns liebend zugewandte Macht zu denken bzw. zu glauben. Er tat das, indem er Ihn (Gott), Sie (diese Kraft), Es (dieses Geheimnis) als „Abba“, „lieber Vater“ angeredet und verehrt hat. Kroeger sagt dazu (dem Sinne nach): Es ist möglich, zu diesem uns tragenden, bergenden, tröstenden und richtenden Geheimnis in eine zugleich ehrfürchtige und vertrauensvolle Beziehung zu treten. Man kann zu diesem Geheimnis auch „Du“ sagen.
Jedenfalls kann ich diese alles umfassende Wirklichkeit, diese Kraft, der ich mein Leben verdanke und in die ich im Tod zurückzukehren hoffe, nicht mehr als supranaturale „Gottperson“ denken, wie mir überhaupt alle Metaphysik als pure Spekulation abhanden gekommen ist.
Ich verdanke mein Leben „Gott“, dieser Kraft, nicht, weil er mich „gemacht“, etwa aus Lehm geschaffen hat – das ist und bleibt Mythologie –, sondern weil er mich hat werden lassen im Rahmen des Prozesses der Evolution, den „Er“ angestoßen hat und weiterführt im Ganzen des Universums.
Jesus war nicht Gottes Sohn im physischen Sinn von Abstammung, sondern er wurde von seinen Verehrern aus historisch verständlichen Gründen Gottes Sohn genannt („Würdetitel”), um damit zum Ausdruck zu bringen, was ihnen dieser Mann bedeutete. Also eine Art Bekenntnisaussage.
Jesus war nicht einfach der Messias/Christus (jedenfalls hat er sich selber so nicht genannt), sondern er wurde von seinen Jüngern und Jüngerinnen als Messias geglaubt, wiederum aus historisch nachvollziehbaren Gründen, wenn man weiß, welche hochgespannten Erwartungen sich im Spätjudentum mit diesem Titel verbanden.
Ähnliches gilt auch von den dogmatischen Lehraussagen über Jesus, wie sie durch Mehrheitsbeschlüsse der altkirchlichen Synoden zwischen Nicäa 325 und Chalcedon 451 festgelegt wurden: z.B. „Wahrer Gott vom wahren Gott“ oder Christus sei „Wahrer Gott und wahrer Mensch“, „Trinität“.
Gerade wenn Jesus, im Gegensatz zu späteren Dogmatisierungen, als Mensch ernst genommen wird, bekommen sein Lebensvollzug und die Verkündigung dieses wahrhaft „gottbegnadeten“ Menschen eine besondere Brisanz.
Man denke nur an die Bergpredigt: Gewaltfreiheit, nichtmilitärische Friedensarbeit, Feindesliebe im Sinne von „Entfeindung“ („Wenn dein Feind hungert, gib ihm zu essen.“ Paulus Röm 12),Versöhnung statt Rache, Vergebung statt Vergeltung. Man denke an seine Gleichnisse, etwa das vom Verlorenen Sohn: Bedingungslose Liebe des Vaters, also „Gottes“, oder die Beispielgeschichte vom Barmherzige Samariter: Das unausweichliche „Du sollst“ angesichts des jeweils um der Menschlichkeit willen unabdingbar Notwendigen.
Man denke an das „Vaterunser“, das die gesamte Reich-Gottes-Verkündigung Jesu gleichsam zusammenfasst: Reich Gottes ist überall, wo der Wille des „bedingungslos liebenden Gottes“ geschieht – und zwar auf Erden, also ganz irdisch, so wie im „Himmel“.
In der Konsequenz dieser Überlegungen erhält eine Formulierung Jesu besondere Aktualität: „Wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen (also in der Liebe), da bin ich (geistig!) mitten unter ihnen.“
Für mich heißt das: Wo immer in der Welt Menschen beieinander sind, um auch nur ein paar Schritte in Richtung mehr Humanität zu tun, da wird „Reich Gottes“ gebaut, das Reich dessen, dem wir unser Leben verdanken. Das bedeutet für mich, Glauben an Jesus und mit ihm Vertrauen auf das Leben und den, dem wir es verdanken, der Urmacht, die wir mit dem Urwort „Gott“ bezeichnen.
Ich hoffe damit leben und einmal darauf auch getrost sterben zu können.