Vorspann-Texte zu den 15 Kernfragen
Was glauben wir heute – noch? Darüber lohnt es sich nachzudenken. Nutzen Sie dazu Anregungen des Diskussionspapiers “Kernfragen des Glaubens”! Im Folgenden finden Sie eine Übersicht über die 15 behandelten Kernfragen. Den Volltext des Dokuments zum Download finden Sie hier.
1. Warum Kern-„Fragen“, wenn es um unseren Glauben geht? Warum nicht Kern-„Aussagen“?
Wir sind unsicher geworden.
In den protestantischen Kirchen Europas, zumal in Deutschland breitet sich Unsicherheit aus, wie man der schwindenden Bindung ihrer Mitglieder an die Organisation und ihrer Verkündigung begegnen kann.
Auch das Verständnis des Glaubens ist unsicher geworden. Selbst Aussagen im Glaubensbekenntnis zu Gott und über den Heiligen Geist werden nicht mehr voll bejaht. Erkenntnisse der Naturwissenschaften lassen manches früher für selbstverständlich Gehaltene als fraglich und überholt erscheinen.
Vieles erscheint aber auch in einem neuen Licht. Es lohnt sich, Fragen zu stellen, auch wenn nicht gleich und nicht leicht Antworten zu finden sind. Neue Ansätze in der Theologie sind überraschend und weiterführend. Sie sind nicht nur in der Spanne zwischen säkularisiertem Denken und Fundamentalismus zu finden. Auch auf individueller Ebene kann ergebnisoffen nach dem Grund des Glaubens gefragt werden. Wir stellen keine neuen „Kernsätze des Glaubens“ auf, sondern wir fragen nach neuen Möglichkeiten zu glauben, tun dies gerne miteinander und auch zusammen mit anderen Interessierten. Unser Glaube an Gott und unsere „Gottesbilder“ müssen nicht in negativer Theologie enden. Neue Gottesbilder korrespondieren mit dem, was wir über die Welt wissen können.
2. Was ist Glaube?
Vom Verständnis dessen, was mit „Glaube“ gemeint ist, hängt auch sein Inhalt ab: Ist es eine besondere Erkenntnisform, die weiter reicht als Gefühl und Verstand? Oder eine Grundhaltung, die das Handeln bestimmt? Worin liegt der Unterschied von Glauben und Wissen, von Religion und Naturwissenschaft? Wie kommen Menschen zum Glauben und welche Veränderungen sind festzustellen, zu wünschen? Anerkennung des Glaubens anderer auch bei erheblichen Unterschieden.
3. Glauben und Wissen
In welchem Verhältnis stehen Glaube und Wissen? Nicht erst seit der Aufklärung werden Wissenschaft und Wissen als die überlegene Erkenntnisform gegenüber dem Glauben angesehen. Wissenschaft und insbesondere Naturwissenschaft wird für den besten Weg zur Erkenntnis der Wirklichkeit gehalten, auch weil er zur Verbesserung der menschlichen Lebensbedingungen beiträgt. Wird der Glaube demgegenüber zu gering eingeschätzt? Woher lassen sich heute und in Zukunft Lebenssinn und Wertbewusstsein empfangen? Es ist notwendig, Glaube und Wissen zutreffend zu unterscheiden und eine Vermischung zu vermeiden.
4. Naturwissenschaft und Glauben
Gibt es eine Konkurrenz zwischen Naturwissenschaft und Glauben? Haben manche naturwissenschaftliche Erkenntnisse Vorstellungen des Glaubens verdrängt – wie z.B. beim Verständnis der Entstehung der Welt und des Lebens? Sind naturwissenschaftliche Erkenntnisse mit einem Eingreifen Gottes in den Geschehensablauf zu vereinbaren? Oder ist vielmehr das Verhältnis der beiden Erkenntnisformen neu zu bestimmen? Können sie sich gegenseitig ergänzen und fördern? Unterschiede sollen nicht verwischt werden. Aber es gibt Berührungspunkte zwischen Naturwissenschaft und Glauben, die bis zur gegenseitigen Ergänzung führen können. Die Begrenztheit beider Erkenntniswelten ist offenkundig. Keine kann einen berechtigten Anspruch auf die Erfassung der Gesamtwirklichkeit erheben.
5. Religion und Naturwissenschaft im Licht der modernen Physik
Wenn Rationalität gründlich und adäquat analysiert wird, werden sich Naturwissenschaftler und Theologen als Partner in der Suche nach Verstehen erweisen. Die immer weiter gehende Suche nach der Wahrheit der Wirklichkeit ist letzten Endes die Suche nach Gott. Zu dieser Einschätzung gelangt der der britische Physiker und Theologe John Polkinghorne, und er liefert dafür zahlreiche Beispiele aus der Physik und Theologie. Ihm kommt es darauf an, dass sich Analogien zwischen der Entwicklungsgeschichte physikalischer Theorien und theologischen Aussagen aufstellen lassen. Er weicht dabei auch so schwierigen Fragen nicht aus wie „Können ‚Wunder’ als Ereignisse eines Eingreifens in den von Gott selbst geschaffenen Kausalzusammenhang gelten?“. Manche Physiker und Theologen übernehmen aus der Quantentheorie neues Verständnis der Wirklichkeit, indem in der subatomaren Dimension nicht mehr von einer Summe von mechanisch beeinflussbaren Teilchen ausgegangen wird, sondern von einer totalen Ganzheit von Beziehungen. Diese neuen Deutungen haben zu der Frage geführt, ob dem Verständnis der Gott-Welt-Beziehung im Unterschied zu einem naturalistischen Materialismus nicht auch Gedanken einer philosophischen Theologie mit naturwissenschaftlichen Analogien zugrunde zu legen wären, (wie das bei Autoren wie H.P. Dürr, H. Primas, Whitehead, Zeilinger und H.R. Stadelmann anklingt, auf die im Nachfolgenden kurz eingegangen wird.)
6. Kommunikation mit Gott
Ist es möglich, Verbindung mit Gott aufzunehmen – ihm etwas mitzuteilen oder etwas von ihm zu empfangen? Für betende Gläubige ist das selbstverständlich. Aber nicht nur im Blick auf neuere naturwissenschaftliche Erkenntnisse ist zu fragen, was mit „Offenbarung“ gemeint ist und mit der Bezeichnung der Bibel als „Gottes Wort“. Auch in der Theologie verändert sich die Kommunikation mit Gott, wenn es von ihm auch andere Vorstellung gibt als die einer – wie einen Menschen anzusprechenden – Person . Wie wirkt es sich in der Kommunikation mit Gott aus, wenn mehr als früher daran gedacht wird, dass Gott größer und anders ist als unsere Vorstellungen von ihm? Ist er dann auch anders und auf verschiedene Weise ansprechbar?
7. Gott in der Mystik erfahren?
Mystische Glaubensformen finden zunehmendes Interesse. Bieten sie andere, tiefergehende Erfahrungen an als die traditionelle kirchliche Frömmigkeit? Lässt sich durch besondere Arten von Meditation ein Einswerden mit Gott erreichen? Wie verändert sich das Gottesbild durch mystische Glaubenspraxis? Gelingt es, „das Unsagbare zu sagen“?
Mystik vertritt das Ineinander von persönlichen und überpersönlichen Zügen Gottes. Gott kommt nahe: Im Alltäglichen gibt es ein Leben in der Gegenwart Gottes. Er ist ebenso radikal immanent wie transzendent. Gott „in uns“ und „über uns“ gehören zueinander.
Aber auch kritische Fragen sind zu stellen: Ist die Überschreitung eines personalen Gottesbilds möglich, ohne Christus als „Angesicht“ des unsichtbaren Gottes aufzugeben?
Zahlreiche Methoden der Kontemplation bieten auch den Interessierten Zugang zu mystischer Erfahrung, die sich nicht gerade besonders begabt dafür fühlen. Einige davon werden kurz in der Anlage aufgeführt.
8. Funktionen und Wirkungen des Betens
Gerade weil es so viele unterschiedliche Arten, Formen und Bewertungen des Betens gibt, ist es wichtig, eine Definition des Gebets zu versuchen. Auch nach den (zahlreichen!) Funktionen und Auswirkungen des Gebets ist zu fragen. Dazu gehören auch die Rückwirkungen des Gebets auf das Individuum und auf eine Gemeinschaft. Zu welchem Gott wird gebetet? Die Antwort darauf fällt bei Kindern anders aus als bei Erwachsenen und alten Menschen. Die Berücksichtigung der Kritik am Gebet muss das Beten nicht erschweren oder verhindern, sondern kann es bewusster werden lassen. Dafür gibt es einen Praxisvorschlag.
9. Jesus – wer war und wer ist das?
Woher kommt das eigene Verständnis von Jesus? Es gibt Romane und historische Darstellungen über ihn, Filme, Musik, und das Neue Testament in der Bibel, nicht zu vergessen die vielen Abbildungen und Kreuze in den Kirchen und die kirchliche Lehre. Aus all dem kann ausgewählt und das eigene Jesusbild geformt werden, das von „Jesus der Mensch“ bis hin zu „Gottes Sohn“ und Weltenrichter am Ende der Zeit reicht. Welche Bedeutung hat Jesus für den Glauben in dieser Zeit? Ist hauptsächlich seine Lehre und das Vorbild seines Lebens wichtig oder sein Tod als Opfer zur Vergebung der Sünden und seine Auferstehung als Beginn neuen Lebens?
10. „Meine“? Kirche
Auch das Verständnis der Kirche hat sich gewandelt. Ist das eine Organisation, eine von Jesus gegründete (Lebens-? Glaubens-?)Gemeinschaft, die Verwalterin göttlicher Gnade oder die Vertreterin und Interpretin des göttlichen Willens hier auf Erden? Für die eigene Antwort auf solche Fragen sind nicht nur die Kirchengeschichte, die kirchliche Lehre und das christliche Glaubensbekenntnis zu berücksichtigen, sondern auch die Kritik an der Kirche und das zunehmende Auftreten anderer Religionen. Ist auch die Frage „Was habe ich von einer Mitgliedschaft in der christlichen Kirche?“ berechtigt? Welchen Wert hat die Lebensbegleitung der Kirche (u.a. mit Taufe, Konfirmation, Eheschließung, Bestattung)? Wie wirkt sich Kirche auf den eigenen Glauben aus?
Das Nachdenken darüber kann das eigene Verhältnis zu dieser Organisation bewusster, ergiebiger und aktiver werden lassen.
11. Schuld / Sünde / Vergebung
Für den Stand und die Entwicklung der gesellschaftlichen Schuldkultur ist das Verständnis der Begriffe Schuld, Sünde und Vergebung grundlegend. Sowohl eine Definition wie auch das Verhältnis der Begriffe zueinander ist schwierig. Es stellen sich u.a. folgende Fragen:
- Wie gehen wir verantwortungsvoll mit unserem täglichen Schuldigwerden um?
- Was bringt die Ausweitung des Schuldbegriffs auf das religiöse Sündenverständnis?
- Welchen Wert hat und was bewirkt Vergebung?
- Wie bringen wir die Bereitschaft auf, Schuld anderer zu verzeihen?
- Kann der persönliche Glaube dabei helfen?
- Welche Bedeutung hat Jesus für Christen bei dieser Frage?
Eine Vertiefung beim Verständnis von Schuld und Sünde kann zu mehr Gerechtigkeit führen und neue Chancen auch bei schwerer Schuld eröffnen.
12. Auferstehung der Toten, Jüngstes Gericht, Ewiges Leben
Können wir aus dem Glaubensbekenntnis Passagen auslassen, nur „weil es uns heute schwer fällt, an Auferstehung und Ewiges Leben zu glauben?“ Ist ein christlicher Glaube auch ohne Auferstehung der Toten, Jüngstes Gericht, Ewiges Leben und Jenseits möglich? Es wird zwar heute weitgehend auf bildhafte Vorstellungen zu diesen Glaubensinhalten verzichtet (wie z.B. in „Hoffen über den Tod hinaus?“), aber positive Aussagen und Interpretationen dazu sind selten. Die folgende zum Thema „Jüngstes Gericht“ versucht eine Erklärung ohne „Jenseits“.
13. Hoffen über den Tod hinaus?
Für eine Hoffnung über den Tod hinaus gibt es viel Ermutigung und Zeugnis. Erstaunlich, wie viel früher Kirche, Gläubige und Künstler über das Leben nach dem Tod wussten. Wird das heute noch akzeptiert? Als Begründung hierfür wird die Berufung auf Jesus und seine Auferstehung herangezogen; aber doch auch gefragt, ob solche antiken Formulierungen des Bekenntnisses noch die Hoffnung in Moderne und Postmoderne leiten kann. Und wer will schon zu einem Endgericht auferstehen (und jetzt schon Angst davor haben), in dem das eigene Bestehen höchst ungewiss ist?
Trotzdem hat die christliche Botschaft den Mut und die Zuversicht zu einer größeren Hoffnung, indem sie an das Gebot der Liebe anknüpft: Lieben heißt einem Menschen sagen: du wirst immer da sein. Die Hoffnung über die Todesgrenze hinaus wurzelt in der Zusage: „Gott ist Liebe“. (1.Joh 4,16)
14. Der andere Gott – damals und heute
In der Bibel und in menschlichen Erfahrungen zeigt sich Gott auch anders als im alltäglichen Glaubensleben: Als gewalttätig, rätselhaft, verborgen, strafend, feindlich. Was ist das für ein „guter Gott“, der von einem Vater das Opfer seines Sohnes verlangt (Abraham und Isaak im Alten Testament) und dem rechtschaffenen Hiob ohne Grund alles wegnimmt?
Steht das im Widerspruch zu dem Gottesbild Jesu, der oft von Gott als dem guten Vater spricht und ihn so auch im „Vaterunser“ anspricht? Christliche Verkündigung kann von einem evolutionär verstandenen Gottesbild aus auf das Gottesverständnis Jesu hinführen und nach heutigen Formen der Rede von Gott fragen. (vgl. auch die Entwicklung der Gottesvorstellungen in „Gott 9.0“)
15. Theodizee – Gott entschuldigen?
Menschen fragen bei Verbrechen, großen Übeln, Katastrophen und schwerem Leid: Warum trifft es gerade mich? Meine Angehörigen? Warum gibt es Leid und Böses in der Welt, warum so viel? Ist es eine Strafe (Gottes)?
Philosophie und Theologie haben sich ausführlich und seit langem mit diesen Fragen beschäftigt, die starke Zweifel am Glauben an Gott auslösen können.
Ergebnis: Die Antworten sind unbefriedigend (s. auch „Der andere Gott“). Muss man sich dann eben damit abfinden, dass es eine dunkle, verborgene Seite Gottes gibt, in der das Böse seinen Grund hat? Christen sollen sich im Glauben an den Gott der Liebe halten. (Luther)
Nach nichtpersonalem Verständnis öffnet die größere Wirklichkeit Gottes den Blick für die Verbundenheit aller Menschen: Die Opfer von Katastrophen und Unglücksfällen, die Kranken und Behinderten sind in einem größeren Zusammenhang miteinander verbunden und wurzeln im gleichen Seinsgrund. Daraus folgt Verantwortung füreinander, Bereitschaft und Fähigkeit zu gemeinsamem Leben und gegenseitiger Hilfe.